Eine Boulevard-Zeitschrift wirbt für sich. Ihr Verlag verschickt Werbeexemplare einer aktuellen Ausgabe mit persönlichem Schnupperangebot. In einem Schmähartikel gegen einen nationalen Politiker macht sie Wahlpropaganda gegen ihn, betreibt also indirekt politische Werbung.
DIE AFFÄRE DARBELLAY – DAS
TAGEBUCH SEINER GELIEBTEN.
Aufmacher der SCHWEIZER
ILLUSTRIERTEN vom 14.September 2016:
„Ich habe das Kind anerkannt“
(S.24), „Schwangerschafts-Tagebuch“ (S.26),
Die Rothenbühler Kolumne
(S.10), Editorial (S.5)
UNTERHALTUNG IST AUCH SERVICE
PUBLIC. Interview mit RINGIER-Chef MARC WALDER zu Krise und Digitalisierung in
der Medienbranche, SJ vom 14.September 2016
„Medien dürfen nicht politisch instrumentalisiert werden. Sie sollen die Politik beobachten, hinterfragen, einordnen. Nicht machen.“ (Marc Walder, SJ Interview 14.9. S.43)
Die SJ vom 14.9.
skandalisiert auf der Titelseite und in der Artikel-Serie einen
bekannten Politiker wegen einer privaten Angelegenheit. Sie nimmt Einfluss auf
seine Wahlchancen in den Walliser Regierungsratswahlen, macht also Wahlpolitik.
Inhalt und Tendenz des Aufmachers dürften gegen den vom Konzernchef vertretenen
Grundsatz verstossen.
LESERBRIEF AN DIE
SJ-REDAKTION:
Mit der MEGA SCHLAGZEILE und
einer Foto des sympathisch lächelnden Sünders auf der Titelseite offerieren Sie
- die Redaktion der meistgelesenen Boulevard-Zeitschrift der Schweiz - Ihren
Leserknüller der Woche. S i e machen eine Geschichte, welche privat offenbar
längst geregelt ist, öffentlich zur „AFFÄRE“ (Ihre Wortwahl!).
Der SONNTAGS-BLICK „hat
enthüllt“. BLICK hat die Jagd auf den „Volltreffer“ eröffnet: Der ebenso
prominente wie medienpräsente Parteipräsident und Familienpolitiker ist „zum
vierten Mal Vater geworden“. „P I K A N T“
sei der Umstand, dass „nicht seine Frau…die Mutter ist“, so umschreiben
Sie, die Redaktion der SCHWEIZER ILLUSTRIERTEN, den lapidaren Tatbestand in
Ihrem Seiten-Aufmacher. Sie beherrschen das Einmaleins des journalistischen
Spürsinns.
Sie publizieren die Passage
aus dem Schwangerschafts-Tagebuch der „Geliebten“, das ja schon als Blog
öffentlich zugänglich ist, wohl nicht als Beweismittel. Soll sie Mitleid mit
dem Opfer einer eingestandenen Fahrlässigkeit beim Seitensprung des
Polit-Promis wecken? Der Appell an die Emotionen der Leser vermittelt wohl den
nötigen Kick, von dem der Name Sensationspresse bekanntlich herrührt.
Die kumpelhafte Kolumne Rothenbühler
wiegt die Anrüchigkeit Ihrer Enthüllung nicht auf. Im Stil Schwamm darüber
„lieber Christophe“ beruhigt der erste Absatz. Im „urbanen“ Wallis blieben die
Chancen einer Wahl zum Staatsrat wohl intakt. „Trotz Ihrem Image als politische
Windfahne bleiben Sie einer der Besten“, liest man konsterniert. Doch dann
lässt die Kolumne einen Platzregen schnoddrig-witziger Fragen aus supponierten
Stammtischgesprächen um das „Künstlerpech“ der Nacht vom Stapel. Die höhnische
Inquisition erspart dem zum Büsser erniedrigten Staatsratskandidaten keine
Peinlichkeit. Öffentliche Beichte im katholischen Milieu sei halt doch eine
„komplexere“ Angelegenheit „als sich ein CVP-Familienpolitiker vorstellen“
könne. Erniedrigend tönt die Schlusspassage der Kolumne: „Zum Glück für Sie
beginnt gerade die Jagdsaison und Sie können sich wie jedes Jahr mit der Flinte
und lieben Kollegen ins Gebirge verziehen… Unser Mitgefühl gilt denn auch
ausschliesslich denen, die im Tal bleiben: dem Kind und seiner Mutter, Ihrer
Ehefrau und Ihren drei Kindern.“ Humor könnte versöhnlich stimmen. Doch in der
fies-frotzelnden, vor Selbstgerechtigkeit triefenden Kolumne wird der Humor
skandalös.
Dass die SCHWEIZER
ILLUSTRIERTE in einem Schmäh-Aufmacher zu den Folgen eines Ehebruchs die
Erfolgschancen des angeschlagenen Parteipolitikers als Wahlkandidat
thematisiert, weckt den Verdacht, die Presse verletze ihren GRUNDSATZ, NICHT
POLITIK ZU MACHEN. Gemäss einer ihrer vornehmen Regeln beschränkt sich die
Aufgabe der Informationsmedien darauf, Politik neutral und sachlich zu e r k l ä r e n. Eine Politiker-Karikatur
wird in unserer Kultur nicht als persönlicher Angriff verstanden. Ein
derartiges Eindringen in die persönliche Angelegenheit - sogar in den
Intimbereich eines Menschen - ist eine Verletzung seiner Privatsphäre. Es ist
missbräuchlich und belastet seine öffentliche Existenz gravierend.
BLICKWECHSEL: P I K A N T
ist im Hinblick auf Ihre Publikations-Strategie ein anderer Umstand als
Ihr Anlass zur Titel-Publikation: Der BLICK, welcher - um bei der Jägersprache
zu bleiben - das Wild zur Strecke bringt, gehört mit der SCHWEIZER
ILLUSTRIERTEN zur selben Boulevard-Gruppe, beide sind prominente Medienportale
des RINGIER-Konzerns.
Es ist gerade Jagdzeit. Nein,
Sie, die Redaktion, ziehen Ihre Trefferfolge sichernde „Treibjagd“ doch
(hoffentlich!) nicht durch, als ob Sie in den Siebzigerjahren oder danach
Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und Günter
Wallraffs „Der Aufmacher“ nie gelesen hätten.
Es sei kurz erinnert:
B ö l l hat in den wilden Jahren der „Roten Armee
Fraktion“ und politisch brisanter Affären mit der Jagdgeschichte seiner
„ZEITUNG“ die deutsche BILD-Zeitung im Visier. In seinem fiktiven Fall begeht
die Boulevardpresse durch aufreizende Berichte Rufmord an einer bisher
unbescholtenen Frau. Sie verfälscht Tatsachen über deren Zufallsbeziehung zu
einem flüchtigen Verbrecher und löst gegen die von der „ZEITUNG“ als
„Terroristenbraut“ oder „Räuberflittchen“ Verschriene eine Hetzkampagne aus. -
W a l l r a f f gibt mit seinen
Reportagen Einblick in die anonyme Schmutz-Arbeit als Reporter hinter den
Kulissen des berüchtigten Boulevardblatts, das schon damals zum
SPRINGER-Konzern gehörte. Der Enthüllungsjournalist macht sich selbst unter
falscher Identität zum „Schräubchen der Meinungsmache-Maschinerie“ (Erik
Möller) und verfasst für die absatzhungrige BILD-Redaktion
Sensationsreportagen, welche die Wahrheit im Schnüffel-Dienst der BILD-Zeitung
raffiniert verzerren. Sein Beweismaterial ist authentisch.
Niemand unterstellt Ihnen,
dass Sie davon ausgehen, die literarischen Highlights der Siebzigerjahre seien
ausgeweidet und vergessen. Wenn man sich auch keine Illusionen über die
Langzeitwirkung von Literatur machen soll: zum Schund herunterziehen lassen
sich trotz Anfeindungen und Prozessen weder Wallraff noch Böll. Das wissen Sie.
Selbstverständlich hat die Boulevardpresse das Image ihrer wilden Zeit inzwischen
abgestreift, grobe Verfälschungen lässt sie sich nicht mehr unterschieben, als
„Lügenpresse“ kommt sie nicht mehr daher, sollte man meinen. Denn: Sie ist
nicht nur dem Markt und absatz-ökonomische Werten verpflichtet, sondern auch
politischen - etwa der Familienpolitik, auf die Sie den ertappten
Parteipolitiker berufen - und insbesondere recherchierten Tatsachen. Ihre Leser
dürfen annehmen: Ein Wertekodex und seriöses Management sind für Sie
verbindlich. Sie unterziehen sich einem Presserat, der Ihre Arbeit
kontrolliert. Und darum nein, Ihre Reportage zum „Fall“ Darbellay ist bestimmt
keine Jagdgeschichte im bekannten „Western-Stil“! Die wilden Jahre sind ja
vorbei…
Schliesslich sind Sie gross
geworden. Schön! Und man wird es nicht als Ironie der Geschichte betrachten,
sondern als Fortschritt, dass die Unterhaltungs-Presse durch Fusionen und
Beteiligungen nicht bloss g r o s s geworden ist und weiterhin kompetent Royal
News verbreitet oder Starkarrieren feiert, sondern: dass sie sich, von
Korruption gereinigt, zur eilfertigen SCHUTZMACHT der vom Schicksal oder
korrupten Mächten Geschlagenen aufgeschwungen hat. Zum Beispiel - in der
Ausgabe vom 16.9. - von Dürre heimgesuchter afrikanischer Dorfbewohner oder
arbeitswilliger Flüchtlinge in Como. Vielleicht spürt sie auch mal
verwickelten Steuerfluchtwegen nach?
Offshore-Konten von Shareholdern und Konzernen? Soziales Sharing ist heute ja
angesagt - Teilen!
Man hat es gewiss nicht der
presse-kritischen Literatur jener wilden Jahre zu verdanken, dass Ihre Branche
sich heute ein sauberes Image zulegt. Kühler Geschäftssinn diktiert die
Schritte. Der von der Achtundsechziger-Bewegung grob angefeindete
SPRINGER-Konzern hat sich inzwischen als mächtiger Partner still dem
RINGIER-Konzern mit BLICK-Gruppe, SCHWEIZER ILLUSTRIERTEN oder BEOBACHTER
verbunden. Strategischer Kalkül ist bei marktpolitischen Unternehmen am Werk.
Über das Schweizer Medienhaus ist SPRINGER nicht zuletzt ein nach Osteuropa
ausgreifendes Mini-Imperium zugewachsen.
Was bringen solche Hochzeiten?
Die e l e k t r o n i s c h e n Imperien und besonders die interaktiven
„SOCIAL MEDIA“ sind als ebenso ungreifbare wie unüberwindliche Konkurrenz im
globalen Feld aufgerückt. Trotz seriösem Management schwinden nicht nur die
Absatzzahlen der Papiermedien bedrohlich, sondern - logischerweise - auch die
Anteile am sogenannten Werbekuchen. Ja, da muss man sich einiges einfallen
lassen. Sich allseitig gut absichern wie Bergsteiger auf einer komplizierten
Gratwanderung. Die Luft ist dünn. Mit Mitleid kann kein Hochwild-Jäger rechnen,
der da o b e n einsam abstürzt. Darum knüpft man
Seilschaften, vernetzt sich im grossen Stil, wächst, verzweigt sich durch
Beteiligungen, gründet Holdings, Joint Ventures, diversifiziert im
Mediengeschäft, wird international. Hochglanz poliert die Reputation, TV- und
Radio-Holdings sichern Werbeaufträge und frisches Kapital, in Asien und Afrika
öffnen sich neue Märkte…
Auf unserem politisch
gesitteten Kontinent hat die Aufklärung sich endlich durchgesetzt, die Bürger-
und Menschenrechte haben ihre Anwälte. Keine Redaktionen werden besetzt und
gleichgeschaltet, keine Journalisten werden verhaftet oder ermordet. Nicht
hier. Das verdanken wir der Gewaltenteilung, der Meinungsfreiheit,
demokratischer Selbstkontrolle. Und besonders seriösen Medien. Wenigstens
solange sie ihren guten Vorsätzen treu bleiben. Nein, die wilden Jahre sind
zwar vorbei. Aber man darf sich nicht zurücksehnen…
Und hinter blitzblanken
Glasfassaden schon gar nicht zurücklehnen! Sie, voran Ihre Chefetage im
RINGIER-Konzern, drängen seit zwei, drei Jahren zum ganz grossen Sprung: „Das
Informationsgewitter im Internet ist eine grandiose Chance der Zeitschriften“,
sagt Ihr CEO Marc Walder in d e r s e l
b e n Nummer der SJ vom 16.September und
eröffnet das neue Konzept. Das Imperium wächst im Konzert mit SPRINGER auch
ONLINE. Der Zweck ist die Ursache. Gerade darum geht es angeblich: die guten
Vorsätze gegen den Wildwuchs des Internets umzusetzen, das Vertrauen einer
agilen jungen Leserschaft und die Kontrolle zurück zu gewinnen, Regeln und
journalistische Qualität gegen die auf Smartphones explodierende Konkurrenz der
SOCIAL MEDIA zu verteidigen und - natürlich auch Anteile an der Online-Werbung
zu sichern. „Aktionsradius Digital Switzerland“? Ja, zusammen mit SWISSCOM und
SRG-online. „Miteinander statt gegeneinander“ lautet die paradoxe Devise
Walders zur „Lösung der Krise“, just nachdem der RINGIER-Konzern aus dem Verlegerverband a u s g e t r e t e n ist.
Widerspruch aus einem Organ
Ihrer Gruppe? Im „Standpunkt“ beklagt der wertetreue BEOBACHTER unter dem Titel
„Glaubwürdigkeit der Medien bröckelt“ in der Ausgabe vom 16.September, dass der
Verlegerverband die Gelder für den Presserat gestrichen habe und damit den
Bürgerschutz schwäche. Walder von Ihrer Chefetage beruhigt in der SCHWEIZER
ILLUSTRIERTEN gleichentags, man habe den fehlenden Beitrag an den Presserat
einbezahlt, damit die Qualitätssicherung garantiert bleibe. Das wirkt wie eine
intern abgestimmte Aktion. Eine vertrauensbildende Massnahme? Nun, der Dialog
scheint zu spielen. Ihre kritischen Leser dürfen hoffen. Hoffentlich.
Der BEOBACHTER produziert
keine Klatschspalten, der Boulevard ist nicht seine Welt. Er setzt sich
traditionsgemäss für die Anliegen der Bürger ein. Vor allem der kleinen, der
schwachen. Er schafft heute die klassische Synthese von Belehrung und
Unterhaltung auf beinahe ideale Weise, nämlich ohne mit dem aufdringlichen
Mahnfinger zu fuchteln (Bravo!). Falls die Autorität des Presserats untergraben
würde, wäre er als Ersatzjury prädestiniert. In einen B e o b a c h t e r wie ihn setzen kritische Leser gewisser
Konzernerzeugnisse eine Erwartung. Er könnte den Goldenen Stinkfinger
verleihen. Ihn wenigstens zu zeigen wäre im Fall Ihres Aufmachers über den „F a
l l D a r b e l l a y“ jedenfalls angebracht!
Für einen Politiker, der sein
Privatleben öffentlich zugänglich gemacht habe wie kaum ein Zweiter im Land,
sei Christophe Darbellay „mit einem blauen Auge davongekommen, zumindest
medial“, soll Peter Rothenbühler - der EX-Chefredaktor der SJ, Erfinder des People-Journalismus und
Kolumnist - suffisant bemerkt haben. Was man von der Person des Angegriffenen
immer hält, die auf den nationalen Politiker und Menschen zielende
Schmähkampagne von BLICK und SJ ist unter dem Niveau eines seriösen Boulevards.
Der BEOBACHTER hätte mit seiner Anmerkung auch in diesem Sinn recht: Die
Qualität des Boulevard-Journalismus „bröckelt“ - selbst wenn man in Frage
stellen müsste, ob er überhaupt je sauber war.
Doch es geht unabhängig vom
Qualitätsniveau noch um den prinzipiellen Gesichtspunkt: Die Kampagne beider
Boulevardmedien setzt sich auch in einen Widerspruch zum erwähnten
journalistischen Grundsatz, welchen der Konzernchef Walder im SJ-Interview
derselben Ausgabe postuliert, die Presse habe
P o l i t i k n i c h t z u m
a c h e n, sondern vielmehr sie zu e r k
l ä r e n, das heisst: eine
politisch n e u t r a l e Haltung zu vertreten.
Zum Schluss: Ich habe längst
alle meine Printmedien online. Mit einer Ausnahme: dem BEOBACHTER. Ihn lese ich
auf Papier. Auf die SJ habe ich kein Abo. Darum haben Sie mir eine
Gratis-Probenummer zugedacht. Ausgerechnet diese. Ich habe geschnuppert. Danke,
auf das persönliche Schnupperangebot verzichte ich. Hier meine Reaktion. Ich
wünsche nicht, dass Sie sie als Leserbrief veröffentlichen. Ich täusche mich
kaum: Sie würden es aus verschiedenen Gründen ohnehin nicht tun.
Mit freundlichen Grüssen
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