Dienstag, 15. November 2011

LIFESTYLES LAUFSTEG










„Vom Jahr 2009 wird mir das Gefühl bleiben, dass der modische Zwang zur Erneuerung wie nie zuvor in einen Leerlauf geraten war.“ (Stéphane Bonvin, im hypothetischen Rückblick vom Jahr 2039)



Man konnte aus der Haut fahren. Die Preise galoppierten. Oder sie trabten wiehernd als BUDGET-Tölter und DISCOUNT-Ponys vorüber. Es war wie im Zirkus. Es konnte ja sein, dass sein Budget schrumpfte. Doch die Preise kümmerten sich nicht darum. Selbst wenn sie der Teuerung trotzten, legten sie zu. Moderat waren sie selten, gierig von Natur. Vielleicht mussten sie zulegen, damit sie die kommende Rezession überstanden. 

Und er? Musste er nicht leben, damit er das Leben überstand? Die Preise aller Dienstleistungen, Lebensmittel, Zinsen, Prämien, Wärme - die Preise rannten davon. Man lebte am Tag. Er sah eines Tages nicht mehr ein, weshalb er sich für die textile Nacht-Ausstattung so tief an seinem Ersparten vergreifen sollte. Den Entschluss ohne zu schlafen brauchte er sich nicht abzuringen.   

Er schlief also nackt. Aber schlecht, weil von dem Tag an die wilde Sequenz der Laufstegträume in sein Nachtleben eindrang. Sein virtuelles Leben als Nacktmahr begann.

Immerhin verfolgten ihn die CUMULI nicht mehr in seinen Träumen. Schäfchen zählen war ja der Luller. Aber Punkte zählen, Vorteile ausrechnen für ZAHNPFLEGESORTIMENTE, RÜCKENPROTEKTOREN, LICHTSCHLÄUCHE, ALLEWETTERSTATIONEN, LAURAS STAR-PREMIUM BÜGELSYSTEM wurde zum Game. Seine Sucht wuchs sich zur  Wachtortur aus. Und wenn das blauäugige Sparschwein ihm die SUPERPUNKTE auf das VORSORGEKONTO BEI DER SUPERMARKTBANK in die Ohren grunzte, war er am Morgen sterbenskrank.

Diesem Alptraum hatte er den Garaus gemacht. In einem heilsamen Wutanfall über die Profitpunkteschinderei hatte er am selben Tag über sämtliche Kundendienste der SHOPPINGCENTER seine sämtlichen Kundenkarten gekündigt. Auch die SPAM-Verführung war er los. Der potente Spamfilter schützte ihn endgültig gegen Werbung für dufte SCHLAFANZÜGE und KLASSE-UNTERWÄSCHE.



Seine neue Traum-Show war zum Glück kitzlig, abenteuerlich, raffiniert. Die Nacktlaufstege verrannten sich zwar rasant zu Corridamusik im Wirrsal der Korridore, Etagen und Rolltreppen eines GIGA-SPREITENBACH. Doch er nahm die Schweissausbrüche billig in Kauf. Denn er erlebte vor seinen nächtlichen Auftritten die Wonnen einer Geschlechtsumwandlung und groundete am Ende der wahnwitzigen SHOPPING-Achterbahn planmässig in einer LOUIS VUITTON MEGA-Kristallhöhle. Dort wurde er von zwei violetten Perlmuttglanzlack-Fingernägeln geBOSStitcht und erfuhr, während ihre Spitzen in seinen Leib eindrangen, zwischen verspielten LOLA-DUFTSETS lustvoll WAS WIRKLICH ZÄHLT IM LEBEN: die Liebe. Und das schon acht Wochen vor Weihnachten!

Die Liebe verband sich im gruftig riechenden FINE FOOD RESSORT sinnig mit kulinarischer Exotik. Die Rabattangebote für EYE OF REINDEER mit BROMBEER-HOLLANDAISE, den herrlichen BLUE STILTON WITH PORTWINE und den CAKE TRUFFÉ GRAND CRU mit    s e i n e m  ONLY TRUE SINGLE MALT liessen die Gaumenvorfreuden auf ein virtuelles Weihnachtsmenu in der Tundra oder in gälischen Highlands aufleben. 

Wenn er erwachte, streichelte bisweilen ein nomadischer Wind sein Gesicht. Ein silberner Ballon von beinahe durchsichtigem Glanz schwebte über dem Land. Darauf stand: WIR BAUEN – FÜR SIE! Für uns taten sie alles, dachte er. Alles taten sie nur für uns. Der Erlös ihres schrankenlosen Altruismus würde - als die Erfüllung ihres Heilsversprechens - vervielfacht auf uns zurückfliessen. Für sie allerdings war solche Empathie nichts weiter als die systemimmanente Nächstenliebe. Sie waren in jeder Hinsicht pragmatisch.

Der Tag seiner Besinnung war blau wie ein leerer Bildschirm. Sie hatten ihm die FERNBEDIENUNG geschenkt, den BOULEVARD, die LIFESTYLESPOTS, die NATUR- UND ABENTEUERFILME, die MYSTERYSERIEN, DIE SIMPSONS, die NACHTPORTALE, CLUBS, TALKSHOWS, KUNSTREVUEN. Im Programm und auf dem Glanzpapier ihrer Magazine. Die ganze virtuelle Schöpfung.

Spätnachts setzte er den GHOST RIDER auf Standby und die Nase an den Flaschenmund seines letzten TALISKER. Er roch daran, als ob er geahnt hätte, dass er ihn letzte Weihnachten leer getrunken hatte. Unter seine schmuddelig gewordene YVES DELORME LIFESTYLE-Laken kroch mit ihm zusammen die Armut und er musste sich allmählich eingestehen, dass ihm die zweite Haut fehlte.

Als der Winter kam, er kam wirklich und nicht mit Silberfäden und Colliers behängt, reifte sein Entschluss, die erste so teuer wie möglich zu verkaufen. Sie schien ihm besonders modisch: schmal, lang und dünn.



        



                     
                      





NIGHTMARE oder LIFESTYLES CATWALK