Dienstag, 21. Juli 2015

GELD IST ABSTRAKTION IN AKTION (Peter Sloterdijk)










GELD IST ABSTRAKTION IN AKTION





Vorbemerkung

1969 konstatiert Friedrich Dürrenmatt, dass das sich verdichtende Netz von Autobahnen einen Schrumpfprozess eingeleitet habe, welcher die Schweiz endgültig in ein Liechtenstein verwandeln werde. Er warnt in seinem Essay über Kulturpolitik vor den kulturellen und politischen Auswirkungen des Raumverlusts im Bewusstsein der Schweizer. Wir hielten uns für kultiviert, weil wir Kultur im Glauben besässen, Kultur sei für Geld zu kaufen wie Mobilität, Waren und Waffen.


Wieviel Aufwand leistet sich der Schweizer heute für Verkehrsdichte und Tempo, wieviel im Vergleich für Kultur?



Inhalt:

Der Denker brettert
Das Geld - Break-Dance auf Rollen
Kommerzialisierung und Krise

Der verlässliche Charme der Werbung:
Werbung kreiert Bedürfnisse und verspricht Erfüllung: die Motivforschung, Rückblick und kritischer Ausblick
Schnittware und Haute Couture auf dem Werbe-Laufsteg - wir lassen aktuelle Beispiele Revue passieren

Käuflichkeit und Verkäuflichkeit des Menschen
Gewusst wie: Wissen wir, was wir wollen oder nicht wollen?
Kaufkraft und Verführungsmacht des Geldes
Die Marketingmaschine von RED BULL oder Beihilfe zur Verwirklichung von Flugträumen
Sloterdijks Fortschrittsanalyse: „Technokreditismus“ als Motor der sich eigengesetzlich
fortzeugenden Entwicklung und die Metapher vom blinden Gleitflug der Wirtschaft

Antrag zu einer Sonderpreisverleihung

Statistik






Der Denker brettert



Kann sich einer den eben achtundsechzig gewordenen Altachtundsechziger Sloterdjik auf einem poppigen Skateboard durch das solidbürgerliche Karlsruhe schwingend vorstellen?

Wie der Residenzstadt-Verunsicherer aus der Hocke beschleunigt, sich in der Kurve locker aufrichtet und mit fliegendem Haar gegen Blütenstaubwolken und Frühlingswind durch die Planstadt-Alleen rollt - zum Beispiel morgens auf seinem Weg hin zur Hochschule.

Wie er, während Menschen und Dinge wie Lichtreflexe an ihm vorbeiflitzen, mit lyrisch gestimmtem Blick in seinem helmfreien Kopf den Grundriss einer aphoristischen Philosophie entwirft, nicht ohne simultan die Möglichkeit der halluzinogenen Wirkung von Blütenstaub zu reflektieren.

Wie er am Ziel das Skateboard unter den Arm klemmt, die Treppe zum Auditorium im Sprung erklimmt und ohne sich eine Atempause zu gönnen das Katheder besteigt, sein Manuskript entfaltet, seine von der Erhitzung der frischen Fahrt geröteten Seemannsbacken aufbläht und die Sache ohne Floskeln auf den Punkt bringt:


„GELD IST ABSTRAKTION IN AKTION. Wert hin oder her, Geschäft bleibt Geschäft. Dem Geld ist alles egal. Es ist das Medium, in dem die Gleichsetzung des Verschiedenen sich praktisch verwirklicht …. (es) bewahrt seine unerschütterliche Indifferenz angesichts aller noch so verschiedener Güter, gegen die es sich vertauscht .…Die Philosophie des Geldes entdeckt das zynische Phänomen in der Tatsache, dass dem Geld die Kraft innezuwohnen scheint, auch Güter, die keine Waren sind, als wären sie solche, ins Tauschgeschäft zu verwickeln. Es ist die offenkundige Käuflichkeit von allem und jedem, die in der kapitalistischen Gesellschaft einen allmählichen, doch stets sich vertiefenden Prozess zynischer Korruption auslöst.“ (Kritik der zynischen Vernunft, Bd.2, II. B.3.)






Das Geld - Break-Dance auf Rollen



So sprach Sloterdijk, als es nach der wirtschaftlichen Befindlichkeitskrise der Siebziger-Jahre mit einem Salto unter Reagan und Thatcher wieder losging. Die Yuppies lösten die weltfremden Yippies ab, nach der Verweigerung feierte der Konsumhedonismus Wiederauferstehung. Ja, so sprach Sloterdijk 1983 - noch oder schon - im optimistischen Vorwende-Jahrzehnt über die egalisierende Macht des Geldes.

Die Yuppies begannen die unerhörte Leichtigkeit des Seins in die Vertikale des neuen Aufschwungs einzuführen, und generierten mit ihren frischen Trends, welche an der Wallstreet die Kurse hochschaukelten, schnelle Milliarden. Als Sinnbild ihres Lifestyles perfektionierte die Epoche der Börsensurfer in den Neunzigern - nachdem der freie Markt endgültig über das Imperium des Bösen gesiegt hatte - das Skateboard zum trickreichen wendigen Streetsurfer und erfand Wobbel-, Free-, Wave- und Snakeboard.

Das Waveboard mit der schlanken Taille und den weichen Rollen ist das schicke Surfboard für den Asphalt, der wahre Wellenflitzer, der Freestyler für Wallstreet-Yuppies.



GELD IST ABSTRAKTION IN AKTION , sagt unser philosophischer Rollbretterer. Sein Wesen ist paradox. Geld ist so veranlagt, dass es sich Gewinn zeugend anlegt und zugleich Wert vernichtet. Da es sich dem Selbstinteresse andient, erzwingt es um dessen Preis, was uns als Fortschritt voranbringt. Im erkauften Fortschritt manifestiert es seine abstrahierende Macht. Geld ist Motor des Wachstums. Und zugleich Anstifter von Inflation und Verstrickung in Schuld.

Einspruch! Soll Fortschritt Zwang sein? Ist Wachstum nicht sozialisierte Wertschöpfung?

Kapital rechnet und quantifiziert. Es abstrahiert die Dinge auf ihren berechenbaren Nutzwert. Zwangsläufig rationalisiert der Fortschritt Werte weg, welche das Gegebene im umgreifenden Zusammenhang seines Daseins konstituieren. Sein Tempo und seine Faszination verengen die Optik. In seinem Lauf vernichtet er vorerst Werte in der öffentlichen Wahrnehmung und darauf real, oft gewaltsam und reihenweise. Ihr Kurs verfällt. Der Fortschritt verstösst sie in die monetäre Wertlosigkeit. Wo er sich zur Beschaffung seiner Ressourcen auf Kosten des Rechts bereichert, erzeugt er Not. Doch die Dynamik seiner Performance bannt uns, besticht unseren Blick. Ihre Magie blendet, macht uns blind für das Umgreifende, für den Zusammenhang.

Umgekehrt! Veränderung ist doch eine Chance, wenn es um die Grundlagen und um das Überleben geht. Fortschritt erzeugt Synergien, bedeutet Aufbruch, Entwicklung. Investition in die Zukunft ist ein Wagnis, das sich lohnt. Lohnen muss. Immer wieder. Wachstum bedeutet Kontinuität, Leben!

Ja, doch der Fortschritt korrumpiert auch. Er bestimmt die Spielregeln, wir sind in seinem Lauf. Er macht uns zu Fans, solange seine Wirkung anhält. Aber die Macht der Gewöhnung wird zur Last. Die Schulden wachsen und werden diskret sozialisiert. Die Überlebensstrategie des Systems funktioniert auf Zusehen! Doch Inflation unterminiert Wertgefüge, zerstört Vertrauen. Irgendwann sind die angehäuften Schulden nicht mehr bezahlbar. Und die Kritiker bekommen Recht. Wenn der Fortschritt das Kontinuum zerreisst, dann treiben wir zur Katastrophe. Der Augenblick, wo er die Regeln aufhebt, der Mensch die Kontrolle verliert und keine Macht seinen Lauf mehr aufhält, ist nicht berechenbar.


     
             

                                                               





Kommerzialisierung und Krise



Nach der historischen Wende vor 25 Jahren steigt die Finanzwirtschaft mit New Economy und der Vernetzung der Informationssysteme zu unerhörter Machtfülle auf. Das Geld beginnt sein alle Werte absorbierendes und abstrahierendes Wesen zu entfalten. Mit pseudowissenschaftlicher Borniertheit und marktgetriebener Hemmungslosigkeit, mit der systematischen und zugleich kopflosen Produktivität einer Maschine perfektioniert sich die Kommerzialisierung. Sie durchdringt, bewertet und verwertet zeitgleich mit der Entwicklung der Informationstechnologien alle möglichen Grundlagen, Bereiche, Produkte, Bedürfnisse,  Werte und Unwerte - wir drehen ihr Kaleidoskop: Kultur, Information, Medien, Forschung und Bildung, Intelligenz und Dummheit, Gesundheit und Krankheit, Ökonomie, Ressourcen,  Energien, Rohstoffe, Gene, Logistik, Transport, Luft, Meere, Salz, Salpeter, seltene Erden, Sicherheit, Rüstung, Ferienparadiese, Fitness und Wellness, Wahn und Schund, Schrott, Müll und Tod …. Mit der globalen Kommerzialisierung der Arbeitskraft erreicht die Entwicklung im Hinblick auf die soziale Auswirkung ihre zynische Kulmination. Wo das Klonen und Klauen von Geldwerten sich gesetzlicher Kontrolle entzieht, führt auch die Verwertung menschlicher Arbeitsleistung unter dem Druck der Verhältnisse in Entwicklungsregionen zu brutalsten Formen der Ausbeutung. Die Kriminalisierung von Wirtschaft und Bürokratie folgt in Ländern ohne Rechtsschutz derselben Kausalität wie die Militarisierung. Wirtschaftskriminalität, Korruption und  organisierte Kriegsgewalt entstehen heute in der Regel unter dem zwingenden Einfluss globaler ökonomischer Entwicklungen. 



Weil eine ökonomische Theorie und der Optimismus der Anleger in der Phase des Neoliberalismus davon ausging, dass der Rohstoff Information - im Gegensatz zu den natürlichen Rohstoffen - quasi unbegrenzt verfügbar sei und dass die neue Technologie, um eine unerschöpfliche Nachfrage zu bedienen,  ihn auch global unbegrenzt verfügbar machen werde, baute man darauf, dass der Börsenwert der Hard- und Softwareproduzenten ein unbegrenztes Wachstumspotential speichere. Diese Täuschung löste die Dotcom-Krise aus. Die Spekulationsblase platzte 2003. Als sich die Woge überschlug, riss sie nicht nur viele verwegene Surfer, sondern auch die Hoffnungen kleiner Sparer und Kreditnehmer in ihren Strudel. Zwar vernichtete sie eine Menge Anlagekapital, aber die Wirtschaft hatte die neuen Technologien und Geschäftsmodelle bereits in ihre Kreisläufe integriert und raste im Sog der Riesenwelle mit Schwung dem  drohenden Kollaps einer globalen Finanzkrise entgegen.

Man investierte mit gedopter Potenz in Wachstumsbranchen wie Biogenetik, saubere Energien, Automobilindustrie, Sicherheitstechnologie, Perfektion, Luxus und mit fahrlässigem Leichtsinn in den überhitzten Handel mit Immobilien. Ausserdem erwarb man lukrative Finanzprodukte, komplexe Anlagen, die von allem, was der Aufschwung aus dem Hut zauberte, etwas enthielten. Es wurde gebaut, spekuliert, gebunkert. Die Sommerhochs wurden seit der Wendezeit immer heisser und kürzer. Goldgräberstimmung elektrisierte Wallstreet und Weltbörse. Finanz- und Realwirtschaft klafften zunehmend auseinander bis Ende 2008 der Abgrund aufriss. In den USA stützte der Staat das leuchtende Dreigestirn der Hypothekenbanken vor dem Zusammenbruch. Die Geldpumpen arbeiteten unter Hochdruck. Doch Lehman Brothers gingen im September 2008 mit ihrer 200 Milliarden-Schuld in Konkurs. In Deutschland wurde die Commerzbank teilverstaatlicht, die Hypo Real Estate mit 102 Milliarden aufgefangen. Bad Banks schluckten die Schrottpapiere aus vergifteten Teilen verschachtelter Bankinstitute wie bittere Medizin. Während im Frühjahr 2009 die Zitterpartie um Opel lief, herrschte High Noon im Übernahmekampf zwischen Porsche und VW. Insgesamt riss der Absturz in Deutschland etwa 500 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftskreislauf. Eine Elite bereicherte sich an der Krise, während die Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten wuchs.





                                        
     



Die Aspekte sind paradox: Konstrukt und Wert entwickelten sich auseinander. Vor Ende des zweiten Jahrzehnts nach der Wende verpuffte der Schwung des ökonomischen Borderlinings in der Finanzkrise, denn die Substanz war masslos überschätzt worden. Als die Sicherungen durchbrannten, fehlte das Notprogramm. Das Wirtschaftsklima bleibt nach dem Finanzkollaps trotz aufgewendeter Steuermilliarden und einschneidender Reformen zur Tilgung der Überschuldung unstabil. Die Generation der New Economy steckt im dritten Jahrzehnt nach der Wende in einer wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Dauerkrise des Verantwortung Auf- und Abschiebens. Ein Gefühl der Schuld frisst sich in die Seele und verwandelt sich bei jenen, welche am wenigsten Schuld tragen, in entlastende Wut. Sie, die in reichen und ärmeren Ländern auf die Strasse gehen und demonstrieren, sind nicht der „Mob“, sondern Menschen, denen die Krise erspartes Eigentum, die Arbeit und die Zukunft raubte.

Ob eine an überholten Modellen orientierte Reform die neue Wende schafft und die Wirtschaft in die Lage versetzt, den Auszubildenden real und ideell ausreichende - das heisst auch: sinnstiftende! - Chancen anzubieten? Oder ob - angesichts der Verschärfung politischer Spannungen und wachsender ökologischer Belastung - eine durch smartbunte Werbemimikry getarnte Rat- und Orientierungslosigkeit um sich greift? Die Beweislast für die Richtigkeit der Thesen und Entscheidungen ist an die Geschichte delegiert.


Die Gestaltung der Zukunft hängt davon ab, ob die „schrecklichen“ (Sloterdjik) Jungs/Girls der nächsten Generation in die Verantwortung der „Trendsetter“-Generationen einsteigen werden. Ob sie diese mittragen können, wenn sie die Leichtigkeit des Seins in einer Welt entdecken wollen, welche sich nicht am verabsolutierten Vernunftmass von Kommerz und Konsum orientiert. Und vor allem davon, ob Zeit, Raum und Ressourcen für eine grundlegende Umgestaltung der Verhältnisse ausreichen, bevor die Dauerkrise in die Katastrophe eines neuen, in seinen Dimensionen kaum vorstellbaren Kriegs einmündet.






Die Leistungsmanie light wird das Boarden möglicherweise noch in diesem Jahrzehnt zur olympischen Disziplin erheben. Das Boarden wird wie schon das Freestyle- oder Speedskiing durch den exorbitanten Leistungsanspruch der Worldgames geweiht. Neuerdings erlebt das Streetskaten auf Longboards einen verblüffenden Aufschwung. Die erwachsende Generation - die „schrecklichen“ Jungs (vor allem sie und ein paar Öko-Oldies, noch kaum die Girls) - scheinen indessen auf den ungehobelten Skatern nicht Spitzenperformance anzustreben, sondern die schnelle billige Strassenmobilität entdecken und den Trend zur Befreiung vom Stau leben zu wollen. Wenn der Eindruck nicht täuscht, verwandelt sich der Lifestyletrend der Yuppie-Jahrzehnte gegenwärtig zum praktischen Protestmittel gegen die Verschwendung von Zeit und Energien im urbanen Strassenverkehr. Vielleicht werden radikalere Nachfolger der Occupy-Bewegung auf den Asphaltflitzern sogar den Bürgerschock einer neuen Revolte auslösen. Sie könnten zum Beispiel mit dem Slogan „Green contra Spleen“ gegen blinde Gier und masslosen Kommerz revoltieren. Menschenrechtsverstösse, Umweltvergiftung und Rüstungsproduktion dürften zu den Themen zählen, welche dereinst nicht mehr bloss Transparente vor bunten, doch immerhin zivilisierten Aufmärschen hertragen.








Der verlässliche Charme der Werbung



"Die Werbung verführt uns, neue Dinge zu gebrauchen, bis wir sie zu brauchen glauben." (Ernst Reinhardt)










Werbung kreiert Bedürfnisse und verspricht Erfüllung: die Motivforschung, Rückblick und kritischer Ausblick


Robert W.Woodruff, der Präsident der COCA COLA Company, gründete 1926 das Foreign Sales Departement des Konzerns mit dem Vorsatz, das in den Staaten schon seit einer Generation eingeführte Getränk weltweit für jedermann „in an arms reach of desire“ zu verbreiten. Über die Export Corporation wurde das „sublimierte Wesen Amerikas“, wie ein Journalist den Durstlöscher bezeichnete, zum globalen Label. Durch Tundren und Wüstengürtel eroberten die Coca-Cola Trucks das interkontinentale Imperium des US-Konzerns, welches den politischen Imperialismus, die Rohstoff-Verknappung des zweiten Weltkriegs und die Spaltung des Kalten Kriegs überdauerte.


Die Flasche war so verführerisch wie das prickelnde Aroma des Getränks. Der durstige Betontrucker am Nevada-Highway musste nicht lernen, mit der Faust ihre Taille zu umgreifen, um ihren Inhalt in die lechzende Kehle zu kippen. Im Werbespot leert der Nebendarsteller aus den Hollywood-Western den Sprudel in einem einzigen Zug und schafft es eindrücklich, mit einem genüsslichen Rülpser den berühmten Slogan „That’s the real thing!“ zu artikulieren. Eine Handvoll seiner Kollegen, welche in ihrer Lebens-Hauptrolle die berittenen MARLBORO-Männer auf der Pferderanch spielten, starben - wohl im Unterschied zum Cola-Mann - im besten Mannesalter an Lungenkrebs. Es war kein verkaufsschädigendes Gerücht, sondern eine Tatsache. Aber die Werbe-Kampagne von Philipp-Morris war ein Kino- und TV-Dauerrenner. Sie katapultierte die Marke mit dem cleveren Weiss-Rot-Signet seit den Achtzigerjahren trotz dem Kettenraucher-Drama an die Weltmarktspitze.








NYLON. Die chemische Grundlage des modernen Kunststoff-Kosmos - Makro-Kettenmoleküle - entwickeln die Chemiekonzerne DuPont und IG-Farben in den USA und in Deutschland fast gleichzeitig zu Beginn des zweiten Weltkriegs. Deutschland produziert den „Nazi-Nylon“ PERLON. Der Damenstrumpf wird nicht zur Marktreife entwickelt, denn Perlon erweist sich als hochtauglich zur Herstellung von Seilen, Fallschirmen für die Luftwaffe und Hochdruckschläuchen für Flugzeugreifen. Die Erfindung trägt dem IG-Chemiker Schlack das Kriegsverdienstkreuz ein. Der US-Nylon-Damenstrumpf erlebt dagegen nach einer beispiellosen Werbekampagne am Tag seines Marktauftritts einen reissenden Absatz. Die Konsumschlacht geht als „N-Day“ in die Geschichte ein. Am selben Tag - es ist der 15.Mai 1940 - nimmt in Europa die Drôle de Guerre ihr abruptes Ende. Die Wehrmacht leitet mit dem Durchstoss bei Sedan den „Sichelschnitt“ des Blitzkriegs ein. Propaganda und Geheimhaltung beherrschen den Kriegsmarkt. Als Deutschland, in Besatzungszonen geteilt, dank der Parforce-Leistung der Frauen aus Trümmern aufersteht, senden die Transportmaschinen der US-Air Force in den Care-Paketen auch Damen-Nylonstrümpfe nach Deutschland. Auf dem Schwarzmarkt erzielen sie neben amerikanischen Zigaretten als harte Tauschwährung hohe Preise und symbolisieren den Anfang des westdeutschen Wirtschaftswunders. Die Interessengemeinschaft der „deutschnationalen“ Chemie, welche Bayer, BASF und Höchst gleichgeschaltet vereinte, wurde von den Besatzungsmächten nach Kriegsende zerschlagen. In den Fünfzigerjahren produzieren beide deutschen Staaten ihre Kunststoffprodukte unter konkurrierenden Marken auf der Basis von Perlon. Leicht, aber wenig hautfreundlich bestimmt das Produkt den Trend der Textilmode.

Auf dem „freien Markt“ der Bundesrepublik entfaltet sich die Kunststoffindustrie in der Nachkriegszeit schnell und sichert sich PERLON als Markennamen. Der Arbeiter- und Bauernstaat erfindet für „seine“ Kunstfaser den eigenen Markennamen DEDERON. Aufdringlich hat die Propaganda der Republik die Initialen ihres Kürzels darin eingewoben. Das Beispiel demonstriert, wie der Staat die Produktewerbung in den Dienst seiner Ideologie einspannt. Der Slogan „Chemie für Frieden und Sozialismus“ betont die politische Zielsetzung der volkseigenen Produktion. Die textilen Erzeugnisse sind in der Mehrheit so steril und reizlos wie das biedere Erscheinungsbild der DDR-Printmedien. Die Werbung im Erzieherstaat verbietet sich den Charme der Verführung, welchen das textile Produkt Nylon in der westlichen Modewelt und ihrer Werbung ebenso erregend und marktkonform in Szene setzt wie die Magazine des Print-Boulevard ihre Aufmachung.










In den USA begann die Motivforschung die Macht der Beeinflussung im „Reich der Wünsche“ methodisch auszuweiten. Vance Packard und der Deutschamerikaner Ernest Dichter begründen mit wissenschaftlichem Anspruch einen umstrittenen Trend in der Werbung. Es ging darum, wie Dichter einmal formuliert, die „Seele der Dinge“ zu ermitteln. Durch raffinierte verhaltenspsychologische Experimente und systematische Befragung ausgewählter Kunden ergründete man die Wechselbeziehung zwischen Wesensmerkmalen der Produkte und elementaren - meist unterschwelligen, besonders geschlechtsspezifischen - Bedürfnissen oder Neigungen. Die Motivforschung diente dem lukrativen Zweck, Werbestrategien zu entwickeln, um den Kunden gezielt die Erfüllung ihrer praktischen und zugleich heimlichsten Wünsche durch den Kauf eines Produkts zu suggerieren.

Ernest Dichter untersucht beispielsweise die Wesensmerkmale verschiedener Textilien. Er bemüht die hebräische Schöpfungsmythologie und spekuliert, das Bedürfnis sich zu bekleiden entspreche einem Urbedürfnis nach Schutz und Restitution des durch die Scham vor der Nacktheit verlorenen paradiesischen Zustands. Die Befragung ergab, dass Frauen Baumwollstoff als „keusch“, „unschuldig“ und „rein“, zugleich aber als „sehr weiblich“, „reizvoll“ und “auf stille Art sexy“ erleben. Männer dagegen bezeichnen ihn etwa als „billig“, „kitschig“ und als „nichts Dauerhaftes“. Wolle hingegen verbinden beide Geschlechter mit „Stärke“, „Männlichkeit“ und schützender „Wärme“. Während die von Frauen und Männern als maskulin erfahrene Wolle also „schützt“ und „verhüllt“, gilt Seide wiederum für Männer als „sexuell aufregend“, da sie den weiblichen Körper, indem sie ihn zart und durchscheinend verbirgt, „enthüllt“.

Dichter mutet der Werbung die Aufgabe zu, die Vorurteile der Männer gegenüber Baumwollstoffen zu entkräften. Sie soll ihnen die Fortschritte in „Qualität und Dessin“ bewusst machen und ihre sinnliche Attraktivität steigern, um der Baumwolle zum Durchbruch auf dem Markt für Männermode zu verhelfen. Da es seinen hartnäckigen Widerstand zu brechen gilt, muss der Mann gewissermassen zu einer mentalen Geschlechtsumwandlung verführt werden. Gelingt die Strategie, dann zeichnet sich ab, dass er sogar die intime feminine Seide zu tragen begehren würde. Was der Eisprung der Kriegsgenerationen genetisch nicht vorsah, gelang in der Nachkriegszeit der Modewerbung und dem Markt. Das geschlechtskonforme Must gestattete Konzessionen zugunsten duftiger und cooler Gewebe. Der Mann liess sich so weit konditionieren, dass er sich raue Wollstoffe wie den Tweed zusammen mit den anerzogenen virilen Tugenden der national-imperialen Epoche allmählich abgewöhnte. Welche technischen und ökonomischen Faktoren dabei ausser der Werbung trendsetzend mitwirkten sei dahingestellt. Bei der Nachkriegsgeneration spielte zweifellos der Konflikt mit den Vätern eine stimulierende Rolle. Zunächst mischte aber der Kunststoff die Modebranche und den gesamten Textilmarkt vielseitig auf. In den neokolonialen Sechzigerjahren führte er nach Damenstrumpf und Bluse das knitterfreie Nylonhemd als männertaugliches Oberstück ein. Dass die Kunstfaser lästiges Bügeln erspare galt vorerst als Trumpf, doch ihr Tragkomfort erwarb ihr bald einen zweifelhaften Ruf. Sie galt als hautfeindlich und schweisstreibend. Im Sektor Unterwäsche, Shirts und Shorts musste erst eine textiltechnische Revolution mit Thermo und Techno dem Gewebe zum sportlichen Rekordlauf verhelfen. 

Es macht neugierig, welche geschlechterspezifischen Eigenschaften Dichter aufgrund einer Befragung dem Nylon angedichtet hätte. Sein Buch „The Strategy of Desire“ erschien um 1960. Die Frühzeit der Motivforschung ist die Epoche des Highwaybooms und der amerikanischen Strassenkreuzer mit den imponierenden Heckflossen, das heisse Jahrzehnt des kapitalistischen Wirtschaftswunders und seiner unersättlichen Steigerung der Ansprüche. Die aufregende Zeit  textiler Kunststoffe begann erst. In Dichters exploratorischer Hinterlassenschaft stösst man immerhin auf psychologisch aufschlussreiche Erhebungen zur knitterfreien Bettwäsche. Sie decken die in geschlechtlichen Beziehungen spröde calvinistische Mentalität des amerikanischen Bürgertums der Epoche auf: „Nein danke!“ sagt die sittsame Hausfrau zum Fiberprodukt für das Schlafzimmer, denn der Mann könnte, in Nylonwäsche gebettet, auf unkeusche Gedanken kommen, von moralisch nicht koscheren Träumen heimgesucht werden, was der textilen Restitution paradiesischer Zustände abträglich wäre.

Doch die Pille und der schon Mitte der Fünfziger-Jahre im Vorfeld der sexuellen Revolution erschienene Kinsey-Report zünden in der prüden Gesellschaft der Sechziger- und Siebzigerjahre ihre Tabus sprengende Ladung. Revoltierende linke Studenten und Sozialanarchisten wagen es paarweise schamlos nackt aufzutreten und für das Gleichstellungsparadies zu demonstrieren. Der vom bürgerlichen Profilierungszwang zu seiner Emotionalität befreite Mann und die aus ihrer einschnürenden Geschlechterrolle ausbrechende Frau proben in Kommunen zwanglos neue Formen des Zusammenlebens. Eva ist nicht erst aus der Rippe des Mannes geschaffen, sie ist schon da. Sie trägt Jeans wie Adam, spielt unter dem hautengen Stoff ihre Reize aus und manifestiert zugleich ihre Mitentscheidungskompetenz, während Adam sein weiblich langes Haar als Zeichen intellektueller Autorität struppig-wildwachsend oder zum Rossschwanz gebündelt und zu verfilzenden Zöpfchen geflochten trägt.


Die Entgleisung der rebellischen Generation stört die auf Aufbau und Fortschritt ausgerichtete und von Neurosen geplagte heile Väterwelt der Nachkriegszeit auf. Die Grossmächte und das geteilte Europa sind auf den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf und die nukleare Dominanz ausgerichtet, China hat die maoistische Revolution konsolidiert und die USA sind heillos in den Vietnamkrieg verstrickt. Die Auflehnung für Abrüstung und den Weltfrieden flösst der Studentenbewegung 1968 die nötige politische Energie ein. Im folgenden Jahrzehnt spaltet sich die Bewegung, die Energie verpufft, die gemässigte Mehrheit trägt ihren Reformdrang in die Institutionen,  während eine radikalisierte Fraktion im Untergrund den Terror organisiert und die Reaktion der Staatsordnung legitimiert.








In den Anfängen der Motivforschung herrscht ein heute etwas blauäugig erscheinender Zweckoptimismus vor. Ihre hausgemachten Rezepte und Strategien waren in den Fünfzigern vielleicht masssetzend, muten aber angesichts der komplexeren Bedingungen des globalen Markts und der Dominanz elektronischer Medien bei der Vermittlung und Selektion des Angebots ziemlich archaisch an. So hat zum Beispiel das für das Mittelklasse-Milieu typische Prestigebedürfnis als Konsummotiv auf dem PKW-Markt nicht mehr den herausragenden Stellenwert, welchen ihm die Motivforschung in der Epoche der benzindurstigen, mit imponierenden Heckflossen und spiegelndem Chrom ausgestatteten Limousinen beimass. Durch ihre eklatante Aufmachung präsentierten sich diese vorsätzlich als Statussymbole. Motivforschung im Dienst der Werbung hat heute wesentlich komplizierteren Wechselbeziehungen zwischen Angebot und Bedürfnis Rechnung zu tragen. DESIGN TRIFFT LEISTUNG. Der zugkräftige Slogan unterstreicht die gültige Relation. Die Ansprüche haben sich entwickelt, der Konsument lässt sich durch Schnickschnack nicht mehr so leicht verführen, er verfolgt die technische Entwicklung, erwartet Orientierung. Der anspruchsvolle PKW-Käufer eignet sich in Hinsicht auf Komfort, technische Qualität, Sicherheit, Energieverbrauch, Power und Preis des Produkts selbständig eine Menge an Information an und verfügt in der Regel über ein reflektiertes wertkritisches Konsumbewusstsein. Coolness in diesem Sinn kennzeichnet ihn stärker als das Bedürfnis, sich mit einer Anschaffung gesellschaftlich zu profilieren. Seine intellektuelle Coolness verbindet sich aber mit einem starken emotionalen Moment. VON NUN AN / IST DIE PERFEKTE GERADE EINE KURVE. VON NUN AN GIBT ES EIN AGILERES UND NATÜRLICHERES GEFÜHL VON PERFORMANCE. VON NUN AN GIBT ES INFINITI. Kurve und Gerade sind unendlich eins - Symbol der Perfektion. Im natürlichen Gefühl gemeinsamer Performance wachsen Mensch und Automat zusammen. Perfektion ist zentaurisch, die Identifikation mit der Technik verleiht dem Menschen Augenblicke der Unsterblichkeit. Für diese Einheit steht INFINITI M HYBRID.

WIR LEBEN AUTOS! So wirbt Opel - nicht für sich, für eine Welt. Der PKW befriedigt ein durch die gigantische Infrastruktur selbständig und selbstverständlich gewordenes Mobilitätsbedürfnis. Man braucht den Wagen nicht nur als praktisches Transport- und Beförderungsmittel etwa zwischen Wohnort, Einkaufszentrum und Arbeitsplatz, sondern auch um rasch und bequem ins Wochenende, zum Besuch von Anlässen oder in die Ferien zu verreisen. Bestimmt will der ökonomische Anspruch des Autokäufers ebenso wie sein wachsendes Interesse an ökologischer Effizienz auf die Rechnung kommen. Im Spektrum seiner emotionalen Disposition ist aber das Verlangen nach Beschleunigung, Temposteigerung, Drive, Dynamik, Power nach wie vor, ja stärker als je relevant. Die Potenzen des Automobils dienen vor allem der Befriedigung des Bedürfnisses nach erweitertem Aktivitäts- und Erlebnisraum. Sie bedienen den Wunsch nach schneller Ortsveränderung und Bewegung. Nach weiträumiger Verbindung zur Sicherung gesellschaftlicher Beziehungen ebenso wie nach Ausstieg, Abenteuer, individueller Entgrenzung. Sie bieten die Möglichkeit schnell der Enge konditionierender Verhältnisse zu entkommen und vermitteln nicht zuletzt ein momentan berauschendes Machtgefühl. FAHRSPASS IN REINKULTUR! „Sportivität, Fahrspaß und attraktives Design sind einige der Bauch-Faktoren“, wirbt Peugeot  bei der Promotion seiner 208 GTI und lockt gleich mit einer riskanten Empfehlung. „Wer möchte, kann sogar das serienmäßige ESP und die Antriebsschlupfregelung ausschalten, um einen besonders heißen Kurvenritt hinzulegen.“ Der Autoreporter der "Weltwoche" Philipp Gut, dem die Chance widerfuhr, den neuen Ferrari 488 GTB (330 km/h, Fr. 249 817.-) auf der hauseigenen Rennstrecke des Konzerns zu testen, erlebt einen „emotionalen Ausnahmezustand“. Er erspürt das „erregende Zwitterwesen“ der Rennmaschine „am eindrücklichsten… in den engen Hügelkurven“ und beschreibt die Erfahrung orgiastisch: „Ein roter Teufel der Beschleunigung, dessen maskuline Härte, wie von unsichtbarer Frauenhand geleitet, butterzart den pinienbewachsenen Gipfeln entgegenfliegt.“















Natürlich bedient die Autoindustrie auch schlichtere Wünsche und entlastet zugleich das ökologische Gewissen. Smarties oder Cityflitzers fahren und parken im Nahverkehr heute elegant und anstandslos elektrisch. Es wäre allerdings lächerlich, wenn die schmiegsamen Stadt-, Spar- oder Öko-Mobile durch ihr Design das Potenzial oder den Komfort der Powerklasse vortäuschen wollten. Was hingegen Highway- und Off-Roader von Compact bis Fullsize-Klasse durch ihr kraftvoll-elegantes Design draufzuhaben vorgeben, muss auch drin liegen. Der Kunde lässt sich nicht täuschen: Dass die lange hochgepokerten alternativen Antriebssysteme nicht nur die Ökobilanz revolutionieren, sondern zugleich die durch den Benziner etablierten Standardansprüche erfüllen müssen, ist ausgemacht, da hilft keine Augenwischerei. Die Drohung, dass die technische Akrobatiknummer der Konkurrenz glückt, treibt den Ehrgeiz der Forschung und die Markterwartungen auf die Spitze. Nur, wenn der „grüne“ BMW-Chef in Kampfstimmung mal die Richtungsdevise vorgibt, Elektroautos seien für seinen Konzern „keine Option, sondern ein Muss“, trabt er wohl gegen Windmühlen, denn auf dem realen Markt diktiert der Fünfzylinder die Ansprüche. Die Einsicht, dass leere Werbeversprechen sich nicht bezahlt machen, hat sich in den Verwaltungsräten inzwischen offenbar durchgesetzt.

Noch ist der Elektro-Marktanwärter von Audi mit dem vorläufigen Pseudonym „Qb-Tron“ nicht marktreif. Wenn Toyota den Misserfolg eines abgesetzten E-Geländewagens mit dem Satz kaschiert, er sei eben „seiner Zeit voraus“, dann ist das für den Elektroantrieb in der Powerklasse wohl eher ein schlechtes Omen. Toyota feiert sich in der Eigenwerbung für die aktuelle Modell-Serie als „der klare Hybridweltmeister“. Ist Hybridantrieb der technisch sattelfeste Kompromiss zwischen Benziner und Stromer? Wenn die Treibstoffpreise steigen, dann mag „Hybrid“ als glücklicher Kompromiss zwischen der Umweltlobby und der mobilen Mehrheit auf der Strasse dienen. Wenn sie aber fallen, was sie als Gewinn des Frackings mit den globalen Ökozielen schlecht verträglich tun, dann stellt sich der sparsame Benziner wieder in Siegerpose aufs Podest. Da ist Toyota mit dem Gros seiner Flotte vom „Extremspass-Mobil“ (Fahrlehrer-Portal) bis zu seinem 4x4 Luxus-Van nie verlegen. Wie lange zapfen O2-Verheizer noch Sprit? Wenn die hochbezahlte Forschung die Weltbeglückung mit Brennstoffzellen einmal hinkriegt und der Wasserstoffantrieb zu markttauglichen Preisen in Serie geht, dann wird nachhaltige Mobilität - zumindest theoretisch - wahr. Mit dem teuren MIRAI wagt Toyota den Sprung schon bald auf europäischen Märkten. Vielleicht löst seine Promotion die Umrüstung aus, aber die Frage nach der Sinngrenze des verselbständigten Bedürfnisses der Konsumenten nach privater Mobilität und die Frage nach den Folgen eines absehbaren neuen  Wachstumsschubs wird der MIRAI nicht stellen.














Mit der Utopie der „selbstfahrenden Autos“ werben ADAC und Autohersteller heute auf dem wachsenden Markt automobiler Fahrzeugflotten um potente Kundschaft für das „Flottenmanagement“. Kein Wunder, denn der Prototyp des Vollautomaten ist schon auf Testfahrt unterwegs. Ja, er wird sich durchsetzen, unken Insider, doch erst in Jahrzehnten.












Wann ist der Grenznutzen der privaten Mobilität erreicht? Ist er bereits überschritten? Wie lange sind ihre wachsenden Umwelt- und Infrastrukturkosten noch zu finanzieren? Welchen Aufwand leisten wir uns? Und wo liegt die noch tolerierbare obere Grenze wachsender Staatsverschuldung? Wir wissen es nicht genau. Das Alpenland Schweiz ist dicht besiedelt und vernetzt. Verkehrsdichte und private Mobilität sind hoch. Eine Rechnung stellt den 400 km2 verbauter Gebäudefläche nicht weniger als 1200 km2 Fläche für Auto-Fahrbahnen und Parkplätze gegenüber. Die Auto-Mobilität beansprucht also im Vergleich einen Faktor 3 der Fläche für Wohnen, Erzeugen, Verwalten, Verkauf. Die Mobilität ist der grösste Landfresser. Zwar begleichen sich die Kosten für den Bau und Unterhalt der Nationalstrasse - des grössten Bauunternehmens aller Zeiten - zu hundert Prozent aus der Treibstoff-Abgabe, indirekt also über einen Aufpreis der Energie. Aber das dichte Netz der Kommunal- und Kantonsstrassen finanziert sich durch Steuern. Drastisch müsste sich dem Steuerzahler die Kostenwahrheit offenbaren:  Er zahlt 20 bis 30 % seiner Steuerabgaben allein an die Auto-Mobilität. Nicht nur der Ausbau des Netzes und das verbaute Land sind teuer. Extrem belastet die starke Zunahme des Privat- und Schwerverkehrs die Fahrbahnen. Der Schüttelzahnbagger reisst ihr Trassee regelmässig auf. Die Sanierung schafft einen Dauerbauplatz und hochbezahlte Aufträge für den Tiefbau. Auch für den Tunnelbau verlangt die Mobilität ihr Opfer. Der einen Röhre des Alpendurchstichs folgt bei der zu erwartenden Verkehrswelle logisch die zweite. Macht sich die gewaltige Investition in den Gotthardgranit auch für die nächste Generation bezahlt? Solche Fragen und Relationen einer verdienstvollen Kostenrechnung, deren Zahlen nie in der Automobilwerbung figurieren (!), müssten in das Bewusstsein des Nutzniessers eindringen. Erstaunlich, wie gelassen und gedankenlos er Lärm und Stau als Folgen für die teure Dienstleistung zugunsten der Mobilität hinnimmt. Für Sicherheit zahlt er viel. Ein erhöhtes Todesrisiko nähme er auch hoch versichert niemals in Kauf.











Eine konsumkritische, durch die Umwelt- und Menschenrechtsbewegung inspirierte Motivforschung thematisiert längst einen grundsätzlichen Aspekt. Es geht ihr um die Erkenntnis, dass sich mit einem grenzenlosen Wachstum des Angebots ein teilweise ins Absurde gesteigerter, ökonomisch und ökologisch fragwürdiger Anspruch verbindet und dass sich die soziale Verteilungs-Ungerechtigkeit - etwa im Hinblick auf Vermögen, Lebensstandard, Arbeitsangebot, Arbeitsbedingungen, Kultur, Gesundheit - zusammen mit der Verschwendung nicht erneuerbarer Ressourcen immer deutlicher zu einer globalen Krise ausweitet. Man kann die gegenwärtige Krise als einen Sinnkonflikt verstehen, welcher mit der perfektionistischen Vision der technisch-industriellen Entwicklung und dem Surrogat-Charakter ihrer materiellen Glücksverheissungen zusammenhängt. Eine der brisantesten  Manifestationen ihrer globalen Dimension ist die in der Gegenrichtung des sozialen Gefälles anwachsende Migration. In seinen Ursachen und Auswirkungen ist dieses Phänomen noch nicht restlos zu begreifen. Klaus J. Bade prognostiziert schon um die Jahrtausendwende ein dramatisches Wachstum der Migration aus Entwicklungsländern in den hochindustrialisierten Norden der Welt und analysiert die Hintergründe. Den durch das Ende des Kalten Kriegs ausgelösten Kapitalströmen korrespondieren die weltweiten Migrationsströme. Zusammen mit Rohstoffverknappung, Umweltzerstörung, den Folgen von Klimakatastrophen und Bürgerkriegen verschärft sich das disproportionale Wachstum. Das durch die Vernetzung der Medien verbreitete Bild von Wachstum und Wohlstand der Zielländer schafft Anreize zur Auswanderung. Solche „Leitbilder“ der Migration sind oft genug durch die Werbung verklärte, realitätsfremde Zerrbilder der tatsächlichen Verhältnisse.

Im „Konsumparadies“, wo das Angebot so grenzenlos erscheint, gibt es in der Vorstellung junger Menschen ohne Zukunft Jobs! Auch wenn sie von der in der EU geltenden Freizügigkeit profitieren, muss man heute die Millionen junger Arbeitsloser vor allem südeuropäischer Länder zusammen mit den ausserkontinentalen Zuwanderern in die globale Schicksalsgemeinschaft Perspektivloser einbeziehen. Arbeit dient nicht nur der Selbsterhaltung, sondern mobilisiert Energien, öffnet Horizonte und erzeugt Mittel zur Selbstverwirklichung. Die Chance bleibt vielen dieser Generation verwehrt, vor allem aber den Ärmsten, welche nicht einmal die Mittel zur Auswanderung aufbringen. Konsum bietet indessen als Massenphänomen im Überfluss den „Glücklichen“, welche daran teilhaben, oft nur Surrogat für Sinn und einen nichtigen Grund für den Mangel an Bereitschaft zu notwendigen Veränderungen. In vorausblickender Wahrnehmung einer politisch instrumentalisierten Überfremdungsangst, welche Abwehr, Intoleranz und rassistische Fremdenfeindlichkeit erzeugt, formuliert Bade am Schluss seines Buchs „Europa in Bewegung“ eine eindringliche Warnung: „Der Spanne zwischen der Nichtaufnahme einzelner Asylsuchender aus Krisenregionen der aussereuropäischen Welt und der Angst vor dem Untergang Europas unter dem Andrang von dadurch ausgelösten massenhaften Kettenwanderungen aber ist so weit, dass sie nur zu demagogischen Zwecken Verwendung finden kann. Solange das Pendant der Abwehr von Flüchtlingen aus der ‚Dritten Welt‘, die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Ausgangsräumen, fehlt, bleibt diese Abwehr ein historischer Skandal, an dem künftige Generationen das Humanitätsverständnis Europas im späten 20. und frühen 21.Jahrhundert bemessen werden.“






Die in der Kettenmigration manifeste globale Krise ist auch unsere eigene, die Krise der USA und Europas. Solange die Industrienationen, insbesondere die führenden, selbstbezogen auf Wachstumsgewinn abstellen und die Schotten schliessen, statt das Wagnis einer solidarischen Krisenpolitik nach aussen anzutreten und gleichzeitig nach innen grundlegende wirtschaftspolitische Veränderungen durchzusetzen, solange setzen sie ihre eigene Zukunft aufs Spiel. Die dramatische Zunahme von Erschöpfungsdepressionen, Drogenmissbrauch  und Selbsttötungen in den hochindustrialisierten Gesellschaften sind ein deutliches Symptom der Sinnkrise. Ihre Ursachen sind komplex, aber es gibt ausreichende Versuche, sie zu  erklären: als Folge des Ökonomisierungsdrucks, eines sinnentleerten Zwangs zu Überflussproduktion, eines kasinokapitalistischen Leistungs-Aktivismus, welcher alles auf die Gewinnzahl setzt und das Scheitern tabuisiert, und schliesslich der perfektionistischen Verklärung des Konsums durch die Werbung, welche die Probleme fortleugnet, indem sie für alles patentierte käufliche Lösungen anbietet und die kritischen Fragen verdrängt.

Der unter anderem Ernst Jünger geistig nahe stehende Marburger Soziologe Hans Freyer beschrieb schon um 1960, als die Motivforschung in den USA populär wurde, das Wesen des technischen Fortschritts aus einer ganzheitlich-kritischen Perspektive. Seine zahlreiche Aspekte umgreifende Darstellung ist - im Unterschied zu den einseitig konsumorientierten Forschungsergebnissen des exildeutschen Amerikaners Dichter - von zeitloser Gültigkeit. Im Propyläen-Essay „Gesellschaft und Kultur“ schreibt er die Manipulierbarkeit des Menschen der Veranlagung des „Homo Faber“ und der Struktur und Eigendynamik seiner modernen industriellen Schöpfung zu: „Wenn die Produktion von Gebrauchsgütern nicht an einem, sei es naturhaft, sei es traditionell, vorgegebenen Bedarf orientiert ist, sondern das Bedürfnis für die Produkte, die sie produziert, fortlaufend mitproduzieren muss, so wird es eben ein technisches Problem, wie man im Menschen Bedürfnisse wecken und sie zugleich so standardisieren kann, dass sie als lohnende Massenbedürfnisse anfallen.“ Mit Bezug auf eine Wortschöpfung Vance Packards merkt Freyer an, der Mensch habe sich an die „hidden persuaders“ gewöhnt, diese seien aber gar nicht „verborgen“, sondern wirkten „in aller Öffentlichkeit“ und man müsse ihnen „ehrlicherweise konzedieren, dass ihre Praktiken und das Geld, das sie damit verdienen, nur die Folgeerscheinung der zur Beliebigkeit freigelassenen Bedürfnisse“ seien.

Den vom bekannten Soziologen schon während der Adenauer-Ära in seine Kulturanalyse aufgenommenen Begriff marktwirtschaftlicher „Beliebigkeit“ kommentiert der Satiriker ein halbes Jahrhundert später: Ziel des Markts in der „Multiple-Choice-Gesellschaft“ sei es, die Einfalt des Konsums durch die maximale Vielfalt des Angebots auf das höchste Niveau zu steigern. Der Werbung kommt bei dieser gesellschaftsrelevanten Aufgabe eine prominente Rolle zu. Ihr wirkungsmächtiger Akt verbindet das Zweckhafte mit dem Angenehmen, das Praktische mit der Sinnenfreude. Sie stellt sich damit - wenigstens auf dem Niveau des ambitiösen Designs - in eine lange kunstpädagogische Tradition. Ihre Botschaft: Das Kaufobjekt ist nicht nur nützlich und gut, sondern auch schön und angenehm. In der Tendenz macht das Verfahren der Werbung die Ware zum Kultobjekt. Werbung verführt zum Kauf, indem sie die Erfüllung eines Bedürfnisses zu einem Akt der Selbsterlösung stilisiert. Kaufen wird in seiner sublimsten Form als Reinigungsritual erlebt. Selbst wenn ein Kaufobjekt praktische Zwecke erfüllt, kann Werbung die Suggestion erzeugen, es sei zur reinen Lust erschaffen. Das elegante Sportmodell einer Limousine verheisst - und verkörpert zugleich - SPASS IN REINKULTUR. Es gibt sich her als Spielzeug zur Ausübung der Fahrkunst als art pure. Autos, Designmöbel, modische Kleidungsstücke, Uhren sind an sich schon für die  Warenkategorie Luxus prädestiniert. Werbung inszeniert ihren Auftritt. Wirbt sie für Artefakte aus Seide, Highlights aus zartem Leder oder Kristall, hochkarätige Wohnaccessoires, teure und schnelle Exoten aus Carbon, oder simpel für „Spass grenzenlos“, dann ist sie in ihrem Element. Glückt ihr die Entgrenzung der Vorstellung, kreiert sie sich selbst als ein exotischer Paradiesgarten. Tobt die Schöpfung, schenkt Werbung ihren Adressaten ein schuldfreies Exil unter dem Schutz ihrer kommerziellen Nothelfer. Wie ein Chamäleon wechselt das luzidblaue Meer pazifischer oder karibischer Strandferienparadiese in der Werbung nach dem Tsunami 2004 seine Farbe. Fantastischer schäumt es jetzt aufgewühlt in schillernden Farben zwischen Kokosbraun und Türkis unter tropischen Vorgewitterhimmeln. Endlich vorbei mit der Strandlangeweile, zu Badeabenteuern neuer Destinationen erleben die Buchungen Auftrieb.


    



Welchen ehrbaren Wegen folgt die Perfektionierung der angewandten Motivforschung im weiten Feld der Wünsche und Triebe? Als letzter Schrei präsentiert sich das sogenannte Neuromarketing, ein Ausfluss der Hirnforschung. Die PR-Persuaders wagen sich in die biochemische Hexenküche der Hormone, der heimlichen Botenstoffe, welche den biologischen Haushalt steuern und regulieren. Auf der Basis von Erkenntnissen über das limbische System, welches Gefühle und Triebe zwischen der Dreifaltigkeit der Wunschvektoren Balance, Dominanz und Stimulanz steuert, entwickeln sie eine neurobiologische Typologie und prätendieren, das Kaufverhalten der Konsumenten nach ihrer unterschiedlichen Veranlagung oder Verfassung prozentual vorherbestimmen zu können. Der Trend des Neuromarketing ist ein penetrant-nutzloser Appendix der in einen irrationalen Kategorisierungswahn verstiegenen Ökonomisierung. Der praktische Anspruch ist umstritten, für die Zielkalkulation der Werbung erbringt sie kaum erhellende Einsichten über das hinaus, was wir durch Selbsterfahrung ohnehin von uns wissen. Benötigt Werbung eine theoretische Grundlage? Sie ist praxisorientiert, entwickelt ihre Systeme aus dem Geschäft. Merchandising ist ihre Potenz. Warum sollte sie nicht selbst darauf kommen, dass zum Beispiel die Animation des Spieltriebs und der Gewinnsucht die Konsumfreude fördert.

 
  






WERBUNG. Ihre Globalisierung begann nicht erst mit den klassischen Inseraten und Plakaten, dem Glamour flimmernder Neonreklame in den Cities, den Vorspann-Spots in den Kinos und gesponserten Spielfilmen, welche für Lifestyle-Labels warben; sie begann nicht erst in den Roaring Twenties mit VOGUE und COCA COLA, mit illustren Zigarettenmarken wie CAMEL, mit dem MERCEDES-Stern oder dem Zeitmesser ROLEX. Und sie wird niemals mit der Verwertung aller möglichen Daten als Munition der Konsumschlacht enden, in welcher Auftraggeber die Bedürfnisse von Usern WORLDWIDE im NETZ ausforschen, um sie gezielt mit automatisierter Kaufanimation zu bombardieren.

Werbung als erfolgreiches, aber kostspieliges Instrument des Merchandising erfüllt keinen anderen als den profanen Zweck, durch Kaufanreize den Markt zu stimulieren oder den Absatz einer Ware zu pushen. Ihr Leistungsausweis: Das Produkt zum Idol promovieren, durch Versprechungen sowie Rabatte und Finanzierungsangebote (Leasing) den Konsumoptimismus zu steigern, das schöne Märchen ewiger Qualitätsoptimierung in Umlauf zu setzen und - vor allem - das Publikum in Kauflaune zu halten. Zum Werbe-Repertoire gehört eine geballte Ladung Showbiz: Promipremieren, Gratisvernissagen mit Degustation, Laufstegen und bunten Ballonen, Verkaufs-Aktionen, Preisabschläge, Sammelrabatte, Sonderangebote, Wettbewerbe. Durch den Knalleffekt populärer „Tischbombenserien“ erzeugt Absatz-Promoting dieser Art den nötigen Nervenkitzel. Nachhaltig, wenn auch nur scheinbar diskreter, etablieren Unternehmen und Marken ihre Marktpräsenz etwa durch Sponsoring von Kultur- und Sportanlässen. Langfristig erzielt Werbung allerdings ihre weit subtilere Wirkung, indem sie über Endlos-Serien von TV-Spots, Postern und ganz- oder doppelseitigen Inseraten mit psychologischer Raffinesse entweder eine heiter-heile Welt kreiert, in welcher die Probleme vorweg als gelöst erscheinen, oder Ängste auffängt und dem Produkt Qualitäten und quasi-magische Kräfte zuschreibt, welche im Konsumenten den Glauben wecken, dass es ihn gegen Widrigkeiten schützt und ihm hilft, seine Probleme problemlos zu lösen. Einprägsam preisen sich überdies Embleme in einer flüchtigen Realität als Garantie für Seriosität und Dauerhaftigkeit an.












Schnittware und Haute Couture auf dem Werbe-Laufsteg - wir lassen aktuelle Beispiele kritisch Revue passieren



SPOTS. Eine populäre Welle der TV-SPOTS wirbt neuerdings mit einfühlsam-humorigen Geschichten, wie sie der Alltag schreibt. Ihren Schauplatz geben die typischen, in der Regel vertrauten und überschaubaren Milieus her: Familie, Betrieb, Schule, Freundeskreis, Club, Party, Verein, Quartier, Kleinstadt, Einkauf, Events, die Natur als Erholungs- und Ernährungsborn, Badestrand, Ferienparadies. Themen sind: das kleine Glück, die Grillparty, Alltagsaffären, Alltagsfrust, Erziehungs- und Berufsstress, dreiste Zufälle, Appetit und Genuss, Liebe auf den ersten Blick, Schmetterlinge im Bauch, Spass, Ferien, Reisen. Stoff ist das Zwischenmenschliche und Allzumenschliche, mit dem sich jedermann ebenso zwanglos identifiziert wie mit dem typischen Personal. Wir überfliegen seine Liste: die fixen Jungs, die cleveren Töchter, die lebenserfahrenen Grosseltern, die Rat wissen, wenn‘s klemmt, die aufgestellten Freund/innen, mit denen man Pferde stehlen kann, die Arbeitskollegen, mit denen man Frust hat oder einen Plausch teilt, die Partygäste, die Fitnesskollegen, der Flirt. Alles läuft wie geschmiert, ruck-zuck, wenn auch nicht ohne kleine Malheurs, die man mit Spass wegsteckt, die freundschaftliche Zuwendung wegtröstet. Ausgebrannt? Die Fantasy-Story hilft über Stress weg und zum kommerziellen Wunschtraum. Wenn das Büro zur Klapsmühle wird und das Inventar hochfliegt, kommt Rettung von oben und landet im Kunstflug zum Staunen aller mitten in der City: Der Supermann vom Media-Markt mit dem digitalen LX-Aktenordner oder das blanke Kabrio als Superding zum Davonfahren. Rettung landet überall, auch im Hochgebirge, in Schnee und Eis, oder im Urwald.

Werbung filtert die Welt. Gut gemachte Storyspots über die poetischen und sinnigen Momente des Lebens sind als Kurzzeitfüller unterhaltsam. Je unaufdringlicher sie werben, desto nachhaltiger prägt sich die Marke ein. Doch - „what else?“ Ob raffiniert-witzig oder aufdringlich-simpel gestrickt, ihre Masche ist durchsichtig und enthüllt, zumal in nie ermüdender Wiederholung, ihren banalen Kern.






FOOD AND MORE, MUCH MORE! Wo Landschaften plattbetoniert werden und der hässlichste Urbanismus sich ins Grüne fortpflanzt, während parallel der Wohnluxus sich in besten Aussichtslagen die verbliebenen Naherholungsräume reserviert, da erscheint die NATURA-LINE-Werbewelle der Lebensmittel-Grossverteiler für authentische Landkost manchmal pervers. COOP wirbt für sein Angebot mit der verlogen-witzigen Schlagzeile: DIE EIER VON DEN HÜHNERN DES HAHNS, DER MICH JEDEN MORGEN WECKT. Und der MIGROS-Spot lässt die Hühnerkolonne frühmorgens vom Stall in die Lagerhalle marschieren, um die Landeier frisch anzuliefern. Wohl verständlich, dass in der neuesten Version ein verirrtes Huhn, das offenbar den Anschluss verpasst hat, verstört aus der Halle ins Freie rennt. Dass das Ei zur MIGROS kommt, ist eine Binsenwahrheit. Vielleicht führt die sophistische Frage zu vertiefter Einsicht, ob das Ei von der MIGROS kommt oder die MIGROS vom Ei. Würden die CEOS des heutigen Konzerns die Frage an den Gründervater der Genossenschaft stellen („Gottlieb, wir haben da ein Schein-Problem“), so wäre der um eine bauernschlaue Antwort an seine Nachfolger nicht verlegen. „Meine Herren“, würde er vielleicht fragen, „habt ihr wohl ein Identitätsproblem?“ Werbung simplifiziert, indem sie die verwickelten Verhältnisse vermenschlicht. Wenn sie gewisse Probleme kaschiert, ist  i h r  das nicht zu verargen.

In ihren neuesten Werbespots für nachhaltige Landprodukte und Tierwohl lässt die Werbung MIGROS-Angestellte die Eier und das Gemüse per Fahrrad direkt beim Bauern abholen. Sie veranschaulicht rührend Naturnähe und menschliche Beziehung zum Produzenten: „So frisch vom Hof kaufen Sie die Lebensmittel bei uns!“ Doch habe ich recht gesehen? Wenn der Spot sogar die Äpfelpflücker und einen Melker auf dem Hof in orangen Migros-Shirts mit Namenschildchen auftreten lässt, als ob sie sagen wollten: „Ihr dürft mit uns immer rechnen“, dann ist der Einfall zweideutig. Entweder betont er die Partnerschaft: Wir von der MIGROS sind eure Freunde und Helfer - sympathisch. Oder, na ja, meint der Spot etwa arrogant: Keine Sorge, wenn ihr mangels Personal mit Liefern nicht nachkommt, dann übernehmen wir von der MIGROS kostengünstig selber den Auftrag?







Nun ist es ja dankenswert, dass die MIGROS-Spots die natürliche Herkunft, welcher Konsumenten sich zunehmend entfremden, mit Witz und Romantik ins Bild rücken. Die Maschinerie - der Riesenaufwand an Verarbeitung, Logistik und Preiskalkulation zwischen Herkunft und Konsum - wird ausgeblendet. Die Ursachen der Entfremdung zu durchleuchten ist nicht Sache der Werbung. Aufklärung und Kontroverse überlässt sie dem Konsumentenschutz und der Politik. Wir, die wir uns nicht kaufen lassen wollen, sollten gut zuschauen, ob die Politik es auch so hält. Doch halt! Die neueste M-Spotwerbung schickt wirklich zwei kleine Eindringlinge durch gigantische Verarbeitungs- und Lagerhallen, zu den muskulösen Teigwalkern, den Riesen im Märchenland, und sogar durch das Tiefkühllager, wo die witzigen Knirpse Schokoladeeis en gros mitlaufen lassen. Die helle Kassierin am Fliessband drückt ein Auge zu und scannt die Beute der beiden Schleckmäuler kostenlos durch. Was zeigt der Spot? Migros hat Herz. Auch im Schlaraffenland fallen Knusperkekse und Hühnchen nicht vom Himmel.

Die dienstbaren Geister arbeiten mit Witz, wie von Zauberhand funktioniert der Supply, der Kunde ist König. So humorvoll, so gut! Ja, man kann über manchen M-Spot herzlich lachen. Nur drängt sich umgekehrt der kritische Blick auf die realen Arbeitsbedingungen der flotten M-Crew auf. Der Migros-Melker des Werbespots stemmt auf dem Hof in Erfüllung des Slogans „Wir geben alles für regionale Produkte“ eine Milchtanse über den Rücken einer Kuh, während der Landwirt einem Sendboten der Genossenschaft freundlich zuwinkt. Der Bauer wirkt entspannt, der Melker opfert sich indessen unter unzumutbaren Bedingungen herzhaft im Land-Einsatzdienst: Gegen Fliegenschwärme peitschende Kuhschwänze hauen ihm ins Gesicht, doch er späht unerschrocken nach dem nächsten züpfigen Zitzenpaar. Die drei Märchenspot-Riesen walken mit spassiger Mimik den Kuchenteig im Volleinsatz für die königlichen Kundschaften. Kann man sich die Frage verkneifen, ob die Lageristen im Kundendienst bei ihrer Arbeit immer so freundlich lächeln? Die Auslage nachfüllen, Käse und Kekse nach pedantischer Vorgabe in den Gestellen versorgen ist eine ebenso anstrengende wie anödende Arbeit. Wenn die Betriebsleitung für ausreichende Abwechslung der Einsätze sorgt, macht die Beschäftigung vielleicht Spass. Mal Schokolade, mal Beauty, mal Milch, mal Garten oder Heimwerker, mal ein M besser, mal nicht so stur. Man stellt sich romantisch vor, Teigwalker und Sortierer träumten manchmal vom Apfelpflücken und Viehtreiben auf dem Land. Doch es ist in der Tat so: Die hünenhafte Knetarbeit in der Brotfabrik verrichten heute Maschinen. Die Kassierinnen würden an schönen Herbsttagen wohl gerne mit den Golden-Delicious-Pflückerinnen tauschen. Doch was machen sie, wenn die Selfscan-Kassen ihre flinken Geisterhände endgültig ersetzt haben werden? Da ist der Konzern nicht verlegen. Für die athletischen Walker erfinden sich jetzt schon neue Einsätze: Sie werden an Kundenpartys im Firmen-T-Shirt als „M-Budget-Helfer“ die Traumfrauen von Partybesuchern ansprechen. Im Sinn der Geschlechter-Gleichstellung ist man auch für die Umkehrung der Rollen besorgt!








Und was, wenn der Milchpreis in der EU zusammenbricht? Gibt der Bauer dann seinen Betrieb auf oder schützen ihn die Grossverteiler gegen die Folgen? Die Migros-Werbung projiziert die Vorstellung romantischer Arbeitsverhältnisse in Stall und Hof, während doch heute jedes Schulkind wissen sollte, dass Melkroboter in Laufställen die Zitzen automatisch reinigen und das Produkt in Schläuchen mittels Vakuumpumpen pulsierend in die Milchkühltanks leiten. Verhindern die „Melker, die nie schlafen“ den Zusammenbruch der Milchpreise? Sichern sie die Zukunft des Hofs?  


Der deutsche Discounter in der Schweiz wirbt für seine grosse Jubiläumsstaffel „ROMANTISCHER LIEBESGESCHICHTEN“ auf dem Satellitensender 3+ mit einem Farbposter, auf welchem der Bauer im Bett unter rot-weiss karierter Decke friedlich zusammen mit seiner Leitkuh schläft. Dazu die Schlagzeilen: BAUER LEDIG, SUCHT… HÖCHSTE ZEIT FÜR EINE NEUE LIEBE. PRÄSENTIERT VON ALDI SUISSE. Für einen ungebetenen Gast schon ziemlich taktlos. Pardon! Aldi und Konsorten mischen doch wohltuend das eidgenossenschaftliche Hochpreis-Monopol auf, was schmale Einkommen entlastet. Ihre Strategie senkt zwar die Preislatte (bravo!), doch das schleckt keine ALDI-Kuh weg: Für den Druck, der seine Produzenten bedrängt, hat das Unternehmen wohl so wenig Feingefühl wie für die Arbeitsbedingungen seiner Angestellten. Hauptsache, Umsatz und Gewinn erfüllen die Konzernerwartung. Die Tragik eines schleichenden Prozesses, für den die Sozialgeschichte das Wort „Bauernsterben“ geprägt hat, ist in der Kalkulation der Konzerne wohl so wenig Rücksicht wert wie in der Werbung. Der süffisante, dem Geschmack der Spassgesellschaft gefällige Stil der Werbewelle mag zwar noch als populär hingehen. Doch wie ALDI sich mit landestypischen Motiven und Emblemen an die alpine Wahlheimat anbiedert, ist schon eher penetrant. Werbung hält die Verdrängungsschlacht der Grossen in Gang. Frei Haus decken sie den Konsumenten wöchentlich gnadenlos mit billigem Druckwisch ein.







MIGROS gibt sich nicht einfach volksnah. Sie vertritt die Bedürfnisse des  Volks - nicht nur als Genossenschaft in ihren Gründungsstatuten, sondern durch Aktion. MIGROS braucht sich nicht anzubiedern. Seit ihrer Gründung setzt sie sich für Volksbildung und Kultur ein. Heute wirbt sie mit dem zeitgemässen Slogan für das breitgefächerte praktische Programm ihrer MIGROS-CLUBSCHULE mit dem Slogan: „SCHÄRFEN SIE IHR PROFIL!“ Nein, „schärfen“ bedeutet nicht „Zahnrad schleifen“. Das wäre ein antiquiertes Missverständnis. MIGROS erweitert ihr Bildungsprogramm mit Angeboten zur Entwicklung des Spieltriebs, denn sie pflegt ein zukunftsbewusstes Menschenbild. Zu ihren MIGROS-GOLFPARKS, ihrem jüngsten Projekt, öffnet MIGROS „für clubfreie Golfer den Zugang“ (M-MAGAZIN). MIGROS macht’s möglich: Golfen für jedermann zwischen „naturnahen Zonen“, wo ausserhalb der gedüngten Greens, Spielbahnen, Strassen, Gebäuden und „extensiven Wiesen“ auch Frösche, Schlingnattern und Studentenröschen ein Zuhause haben. MIGROS mit ihrem SPORT-XX-Geschäft wird damit „zur grössten Anbieterin von öffentlichem Golf“ (M-MAGAZIN). Sie leistet mit ihrem Naturprozent einen Beitrag zur „Ökologisierung“ und verschafft sich - aus der Sicht unseres Themas - mit ihrem grosszügigen Verdienst zugleich ein kundenfreundliches Profil. Dank der MIGROS-Initiative gibt es nun in der Schweiz auch Golf naturaline. Jedermann wird beim Golfen nicht bloss sein gesellschaftliches Profil, sondern auch seine Zielgenauigkeit sportlich zu schärfen Gelegenheit haben. Okay, „clubfreie Golfer“ haben Zugang, doch jeder Golfplatz entzieht clubfreien Wanderern ein Stück frei zugänglicher Landschaft samt den liebevoll gehegten „naturnahen“ Inseln, den Mooren, Tümpeln und ihren Bewohnern.








CLASS AND HIGH PERFORMANCE. Klassenwechsel! Exklusive Warenhäuser, Mode-Superstores, Autosalons, Hightech-Märkte, Kosmetik-, Bijouterie-, Watch- oder Accessoire-Magasins stilisieren sich durch Rundum-Service, Klimatisierung, Beleuchtungseffekte, irisierende Farbkombinationen, Perlmutterglanz, Duftreize, Design, Beauty, sanfte Musik und exotische Kulinarik zu Konsumparadiesen hoch. Sie beraten, bieten Sonderkondition. Sie offerieren die Ware zum Anfassen, zur Probe oder Anprobe, zum Testgenuss. Der Provider verheisst Befreiung von Bedürftigkeit, Lösung der Probleme, Steigerung des Selbstgefühls. Der Tausch des Lohns gegen das Produkt wird als Selbstbelohnung und Selbsterfüllung erlebbar: Ich schenke mir den starken Wagen, leiste mir die Karate, den Schliff, gönne mir den Cashmere, die Kreuzfahrt, das Wellnesspaket. Ja, prominente Institutionen bieten sich mit ihrem Komfort der Superklasse als Elysien profaner Konsumerlösung an. Die Erotik von Parfums und Mode umschmeichelt den Besucher schon im Eingangsbereich. Der heiss Umworbene lässt sich mit Wonne auf die temporären Paradiesillusionen ein. Umwerbung und Angebot gehen in ihrer verführerischen Präsenz eine (beinahe!) vollendete Synthese ein:

„Wir nehmen Ihnen die Sorgen ab, wir sorgen für sie, wir besorgen, versorgen und entsorgen. Sie haben die Auswahl, wir verdienen Ihr Vertrauen durch *****Qualität. Ihre Freiheit und Zufriedenheit sind höchstes Gut und Ziel unserer nie nachlassenden Anstrengung. Bei uns entdecken Sie Ihre Sinnlichkeit und erfahren das Glück höchster Verfeinerung des Lebensgenusses.“ Oder mit den Geleitworten eines CEO‘s im „SAVOIR VIVRE“-Editorial zum aktuellen RETRO GLAM an die Kundschaft mit Geld und dem Geschmack für das Besondere im Wechsel der Mode:  „Unser Magazin „inszeniert eine HOMMAGE an Stil-Ikonen wie Grace Kelly oder Audrey Hepburn, spielt dabei virtuos mit Stilbrüchen und Verfremdung, zeigt überraschend angesagte LOOKS des neuen Zeitgeists…(und) verführt mit Referenzen an den unterkühlten STAR APPEAL der 30er und 50er-Jahre… Design-Ikonen wie der EGG CHAIR von Aarne Jacobsen erleben ein FULMINANTES COMEBACK.“

Ein fulminantes Comeback des KARSTADT-KONZERNS aus dem neuen Pleitetief ist kaum zu erwarten. Wenn der Kahlschlag unabwendbar wird, dann müssen für die „KULTURMARKE KARSTADT“ auch ihre rentablen Luxus- und Sporthäuser bluten. Denn sie sind vom Gefüge nicht so vollständig abgelöst, dass sie nicht der Konkursmasse verfielen. So riskant verhängt sind die Geschäfte eines Riesen unter den Warenhäusern und mit ihnen Zehntausende von Arbeitsplätzen. Mit Werbung und optimistischen Bulletins lassen sich Liquiditäts- und Imageprobleme nicht endlos kaschieren. Manches Grand-Magasin hat sich von seiner lichterstrahlenden Grandezza zum Brockenhaus heruntergewirtschaftet.

Nicht unüberschaubare Grösse und Missmanagement allein verschulden Zitterpartien und (nicht nur potentiell) gigantische Abstürze. Die Ursache der keineswegs überwundenen Krise liegt tiefer. Man wird sich kaum täuschen, wenn man etwa bei der Beobachtung der Entwicklung des Detailhandels zum Schluss kommt, dass wir unmerklich in eine Überproduktionskrise hineinschlittern. Der Konkurrenzdruck erzwingt strategische Expansion und Wachstum. An ausgewählten Verkehrskoordinaten öffnen neue Filialen, um die Nachfrage grossräumig abzufangen. Die Geschäfte und Sortimente differenzieren sich. Die zentral gelenkte Auswahl an Marken und Produktvarianten gilt als effektvolle Inszenierung des Wachstums. Peinlich regelt die Vermarktung sogar die Auslage des Sortiments. Das Erfolgsprinzip diktiert. Standen vor nicht fünfzig Jahren fünf Sorten eines Produkts in den Auslagen, so bersten sie heute unter fünfundzwanzig. Der gut konditionierte Kunde ist wählerisch und die Konkurrenz ist mit exotischen Aktionswochen, modischer Schickness, Beauty-Days und Überraschungen immer eine Atemlänge voraus.



      














Ist es clever, den auf die Dauer aufkeimenden Überdruss eines rekord- und auswahlmüden Publikums zu unterschätzen? Indischer Glamour paart sich zwar mit unseren Ferienträumen und unserem sublimierten Bewusstsein globaler Vernetzung. Aber das Luxus-Angebot der Aktionswoche stösst sich mit der sozialen Realität des Drittwelt-Milieus südasiatischer Regionen, mit den unerträglichen Bildern des Elends, welches die Medien im Highlife-Milieu unserer Hemisphäre verbreiten. Der Begriff Kolonialwaren ist abgeschafft. Der Welthandel versorgt uns selbstverständlich und unabhängig von den Jahreszeiten täglich mit frischen Produkten aller Weltkontinente. Aber eine vertiefte Kluft im sozialen Gefüge gräbt sich im emotionalen Gedächtnis ein. Wer argumentiert, es handle sich bei der in Erfolgszahlen erfassten Entwicklung nicht bloss um rein quantitatives, sondern um qualitativ-differenziertes, selektives Wachstum, muss bei ganzheitlicher Betrachtung zur Kenntnis nehmen, dass die nachhaltige Form wirtschaftlicher Selektion Spannungszonen erzeugt und unter Umständen rücksichtslos zu einer Sinngrenze der Verwertung hintreibt. Die Grenze der Konsum-Übersättigung ist in den Wohlstands-Gesellschaften der Welt überschritten, während die Mehrheit der Bevölkerungen in Krisenregionen oft zu wenig zum Leben in Menschenwürde oder zum Überleben hat. Wir haben kaum mehr Grund uns zu wundern, dass der Andrang von Menschen aus Armutsregionen an unseren Grenzen zunimmt.


 



S-CLASS-CARS AND MOBILITY. Wenn aber Übersättigung in den Salons und an den Kassen der Stores spürbar wird, wenn ein leises Erlahmen der Konsumlust drohenden Konsumfrust anzeigt, wo schon die wachsende Konkurrenz unter den Anbietern dem Höhenflug berauschender Umsatzzahlen die Spitzen bricht, dann wird WERBUNG - auf angemessenen Hochglanz poliert - immer wieder für Auftrieb sorgen.

Wenn, wie gerade jetzt, der Wirtschaftsmotor wieder stottert, die beunruhigenden Hüpfer der Aktienkurse oder die kontinuierlich fallenden Erdölpreise eine Dämpfung oder sogar einen neuen Einbruch der Weltkonjunktur erahnen lassen, dann herrscht unter den Automobilkonzernen wieder High Noon. Fällt der Absatz in den Bremsgang, dann entbrennt in der Werbung der Kampf um die Marktposition der Marke. Bewährte Qualität fällt bei der Kaufentscheidung wieder stärker ins Gewicht als das flotte Aussehen und die technischen Spielereien, welche sich der Bequemlichkeit andienen. Pannen darf sich in solchen Zeiten kein Konzern mehr leisten. Rückrufe Hunderttausender von Serie-Wagen erzeugen einen Image-Schaden, welcher sich katastrophal zu Markt schlägt. Jetzt geht es um Sicherheit und erprobte Fahrtüchtigkeit, um Stärken, die der Kenner auf leisen Fussdruck am Sound und Schub erspürt.

Im harten Testvergleich setzt sich das neue Modell auf der Rennstrecke durch. Doch das heisse Marktklima zaubert die gross angerührte Werbeperformance herbei. Hier überschlagen sich Pomp und Theatralik. MERCEDES leistet sich die Weltpremiere seiner neuen S-KLASSE „in der grössten Garage der Welt“, im Hamburger Auslieferungszentrum des AIRBUS A 380! Vor einem der weissen Riesenvögel, welcher mit dem Slogan „LOVE AT FIRST FLIGHT“ auf dem Leib für seine Flotte wirbt, kurvt die silberweisse Kavalkade in imposanter Choreografie von rechts und links über das Flugtrassee auf die „Bühne“ der Flughalle zu. Im Takt des Bühnenorchesters zischt eine Batterie von Raketen über dem Airbus hoch und illuminiert mit ihrem Sprühregen die Vereinigung der Mercedes-Flotte zum grossen Ballett. Die Sängerin am schwarzen Flügel erscheint auf der Grossleinwand im Fond der Halle, während die Kameras der geladenen Gäste im Foyer dem Aufzug entgegen blitzen. Das Schattentheater der Weltpresse empfängt die neue Kreation des Konzerns.

Der Festakt hat Weltformat. Im Alltag muss sich Werbung mit psychologischer Raffinesse dem Wert- und Klassenbewusstsein des Konsumenten anschmeicheln, seiner Selbstgefälligkeit gefallen, sein Profilierungsbedürfnis stimulieren. Der Konsument erscheint im Spot als hoch anspruchsvoll und erfahren: Die ältere Dame, welche zusammen mit ihrem Sohn als Beifahrer die Luxuslimousine testet, zeigt sich beim leisen Start am Steuer mit herablassender Miene von der Qualität des Motors befriedigt. Mit dem Flaggschiff der Klasse schafft Mercedes eine entscheidende Etappe in die ökomobile Zukunft. Der Plug-in-Hybrid-Motor ist luxustauglich.

Mechaniker im Astronautenlook schwärmen um das Modell in der Boxe. Der junge Mann am Steuer des S-500-Sportcabrios ist selbstverständlich „der beste Fahrer“. Wer ausser ihm? Natürlich sein Freund, der sich vom Beifahrersitz nach vorn beugt und dem Zuschauer neckisch ins Gesicht lächelt, worauf der Wagen fast aus dem Stand auf Volltouren beschleunigt. In der Sekunde bevor das weisse Cabrio aus der Bildfläche verschwindet, hat ihn der Zuschauer gerade noch erkannt: Louis Hamilton testet die Porsche-Konkurrenz von Mercedes zusammen mit Nico Rosberg. Natürlich muss Mercedes in jeder Finesse auch die Leistung des Hochleistungs-Cabrios M-4 der bayrischen Konkurrenz egalisieren, dessen elektrisch gesteuerten Soundklappen das grollende Röhren erzeugen, welches Kraft im Überfluss verrät. Paradox!


Wenn man heute gegen asiatische Konkurrenz Elektro-Technologie der Elite zum Standard erheben will, dann muss man beweisen, dass man in der Forschung an der Spitze arbeitet. Kabelloses Laden „noch in dieser Generation der S-Klasse“ lautet das werbewirksame Versprechen von Mercedes. Induktion, berührungsfreie Energieübertragung über ein magnetisches Wechselfeld, das ist die komplexe Technologie, welche der Konzern gerade aus dem Brutstadium zur Marktreife entwickelt. Die Transmission „durch die Luft“ ist keine Luftspiegelung! Sogar bei voller Fahrt? Oh, ja! Getestet wird schon die Magnetresonanz-Kopplung über Spulen in der Fahrbahn. Bombardier und der schwedisch-chinesische Autobauer VOLVO haben ein Projekt zur Entwicklung der „dynamischen Ladevariante“ soeben „erfolgreich abgeschlossen“. Bestimmt werden sich die Infrastrukturkosten zahlen. Die Probleme, welche technologische Entwicklung uns aufzwang, haben wir noch stets gelöst. Wer zweifelt? Der „Durchbruch des Stromers“ hilft der Umwelt und rettet den Fahrspass! Die Automacher werden das Perpetuum Mobile erfinden. Mit Utopie immunisiert Werbung den Optimismus der Konsumenten gegen zukünftige Krisen. Die Technik wird auch die Sonne erfinden, den Durchbruch der Fusion zur Erzeugung sauberer Energie für die Ewigkeit. Die „Selbstverständlichkeit“ totaler Mobilität bezahlt sich von selbst.







Man stelle sich die Zukunft  g e n a u  vor und überlege! MONEY IS ABSTRACTION IN ACTION.


Apropos Spass und Action: Die zwei Piloten stehen grinsend in der Glaskabine des Windkanals und steuern die Energie der Turbine, während zehn Models mit geblähten Blusen, fliegenden Jupes und gestrafften Gesichtern im aufkommenden Tornado um die Wette Designschuhe in ihre Warenkörbe sammeln. Sie strecken und stemmen sich gegen die Wucht, hüpfen und tasten nach Halt, fangen sich auf oder drohen bei hilflosen Kapriolen zu kullern. Während die Ernte der Sammlerinnen gezählt wird, steigen die zwei Herren im Rennanzug ohne Helm in die Boliden, um sich der maximalen Windstärke auszusetzen. Dabei verziehen sich ihre Lefzen zu grinsenden Masken. Der Werbetrailer ist leicht schlüpfrig, aber nicht ausreichend windschlüpfrig, um den Lachtest zu bestehen. Er wirbt übrigens nicht für Sportcabrios, sondern für GEOX: Shoe Shopping at 300 km/h, Scream Challenge with Infinite Red Bull Racing Team. Die Einschaltquote ist hoch. RED BULL ist immer dabei, wo es um die Wette geht und der Wind um die Ohren saust. Nicht nur wo die Boliden dröhnen, auch wo die Stars der Skater brettern.






          


LUXUS erweist sich als krisenbeständig. KAPITAL ZIEHT KAPITAL AN. Mehrwert sichert sich in beständigen Werten gegen drohenden Wertverlust.








In einem Deutschschweizer Steuerparadies wird Landwirtschaftsland in einen Golfplatz verwandelt und mit strapazierfähigem Zierrasen begrünt. Eine saubere Sache in jeder Hinsicht, die politische Werbung schlägt durch, der lukrative Gemeindebeschluss ist unangefochten. Und: Hoch über dem Lac du Leman, über den von der UNESCO geschützten Weinterrassen an der CÔTE DU LAVAUX, „erhalten die privaten Wohnungen im KEMPINSKY PARC ihren letzten Schliff“. So fabuliert der Prospekt einer renommierten Genfer Maklerfirma und drückt mit Ausverkaufsstimmung den Preis hoch: „Mit grosser Wahrscheinlichkeit eine der letzten Möglichkeiten, Wohneigentum zu erwerben, welches LUXUS, PERFEKTION UND HOHEN LEBENSSTANDARD in der Schweiz verkörpert. Als Eigentümer geniessen Sie“ - im einstigen „Refugium für Könige, Diplomaten und Lichtgestalten wie Victor Hugo und Pierre Cardin“ - „freie, atemberaubende  Ausblicke auf den Genfersee, auf Montreux und die umliegenden Berge.“ Der UNESCO-Beschluss wie die private Investition in die stilvolle Hotelanlage dient der einträglichen Erhaltung von Substanz gegen einen schleichenden Prozess: die ausgreifende Zersiedelung schweizerischer Landschaft. Natürlich lässt sich das Golfplatz-Projekt der attraktiven Landgemeinde in der Deutschschweiz mit ähnlichen Argumenten begründen. Kapitalisierung von Land als Strategie gegen die Erosion der Werte.

Die EU-KRISE konfrontiert mit der KONTRAST-PERSPEKTIVE: Über Iberien glüht gerade ein heisser Sommer. Im Hinterland der spanischen COSTA DORADA zerfallen die Jahrhunderte alten Terrassenmauern und die Steinhäuser der ausgestorbenen Bauerndörfer ungeschützt. Das Wasser der Sierra wird aus Reservoiren und im Spätsommer leergepumpten Stauseen zum Zweck abgezogen, Agrumen-Monokulturen und Aquaparks der Küstenzone zu bewässern sowie Golfplätze und Zierrasen der Hotels zu besprayen. Unanfechtbarer Kreislauf: Wasser verwandelt sich in Geld. Aber die Quelle versiegt. Im selben Sommer erfährt man, dass die Titel von OMEGA der Krise trotzend hohe Gewinne abwerfen und die LUXUS RESIDENZEN im Lavaux sich für 6 Millionen pro Einheit in Privateigentum verwandeln, während der Tourismus Iberiens einbricht, BENIDORM ausstirbt, die Immobilienpreise abstürzen, das BIP Spaniens oder Portugals nach unten und die Arbeitslosigkeit hochfährt. In Lissabon haben Zehntausende arbeitslose Bewohner auf billigsten, von Abgasen kontaminierten Böden an Autobahnen und unter Verkehrskreuzen illegale Schrebergärten angelegt, um ihre Familien zu ernähren. Billige Ferien- und Rentnersiedlungen an der zersiedelten COSTA veröden, die Gäste bleiben aus, die Bewohner ziehen weg in ihre Heimat. Die KAPITALFLUCHT setzt ein.







LUXUSMARKEN sind kapital-attraktiv. WATCH AROUND oder die vollkommene Identität von Schein und Sein. O MEGA! Auf dem exklusiven Glanzpapier der schönsten Rückseite aller schönen A-4-Seiten des GLAMOUR MAGAZINS erscheint NICOLE KIDMAN. Die Hollywood Déesse, STARRING für OMEGA, inszeniert - von wogendem weissgoldenen Taff-Glacé umhüllt - den schwebenden Auftritt der unberührbaren Personifikation eines diamantenbesetzten Traums: der sündhaft teuren LADYMATIC! OMEGA has the honour, Lady Kidman PRESENTS: Schweizer Luxusmarke, deren Markenzeichen - das winzige goldene Hufeisen eines Märchen-Zauberpferds - Echtheit und Schweizer Qualität weltweit garantiert.

WATCH AROUND THE CLOCK! FOCUS fokussiert 2009 die für das Magazin lukrative Leser-Neugier in einem Werbe-SPEZIAL (Sondereinlage, nicht Beilage!) auf die IKONEN der GENFER UHREN-MANUFAKTUR:

Die traditionsreiche Genfer Uhrenmanufaktur VACHERON CONSTANTIN hat, wie ihr CEO Juan-Carlos Torres rühmt, „in ihrer Historie die Französische Revolution, die industrielle Revolution, die russische Revolution, zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise 1929 und die Ölkrise überstanden.“ Auch die Quarzkrise und - bis jetzt noch - die letzte Wirtschaftskrise. Die Historie wird fortgeschrieben, wie es sich für Produkte gebührt, die für die Ewigkeit kreiert werden.

„VACHERON UND PATEK“, dichtet FOCUS, „zeichnet die typische GENFER NOBLESSE aus. Ihr Ursprung liegt im nüchternen Calvinismus begründet. Plumpe Protzereien sind hier verpönt. Patek lässt seine Tourbillons, die kubikmillimeter-winzigen Drehgestelle, die der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen sollen, sogar versteckt im Gehäuse wirbeln. Angeblich schadet Lichteinfall dem Öl und somit dem präzisen Wirken dieser aus mehr als 100 Einzelteilen bestehenden Meisterwerke. Traditionell schickt es sich ohnehin nicht, eine derartige Komplikation offen zu zeigen. Der wahre Reichtum blüht hier an den Gestaden des Genfer Sees im Verborgenen.“ Der Preis für die Zauber-Geschmiede von Vacheron bewegt sich um 120‘000 EURO - mittlere Sportwagenklasse. Hightech en miniature. Die Leidenschaft für ausgeklügelt-ästhetische Mobiles kennt keine finanziellen Grenzen, solange sich Kapital prestigeträchtig anzulegen begehrt.

     





Yves Montant legt seine Hände von hinten um Marilyn Monroes Schwanenhals. Sein linkes Gelenk trägt eine TANK von CARTIER. Er schmiegt seine Wange an ihr duftendes Haar. Seine Lippen flüstern an ihrem Ohr den Liebespreis des Geschmeides, das seine Hände schützend verbergen. Er bleibt ihr gemeinsames Geheimnis. Schöne alte Zeiten! Leonardo Di Caprio macht entschieden die Faust für eine TAG Heuer. WHAT ARE YOU MADE OF? frägt der Werbeslogan in die unsentimentale Filmwelt unseres Jahrtausends. Die HEUER-Werbung bezieht die zitierte Frage sowohl auf die Qualitäten des Mannes, der die Uhr trägt, als auch auf die geheimnisvolle Seelenmechanik der Uhr. DIE LEGENDE WIRD NEU DEFINIERT. Im Gehäuse von Di Caprios Chronometer „rutscht schwungvoll ein Wolfram-Quader“. Der Motorraum eines italienischen Sportwagens inspirierte die Designer von HEUER in Genf zur Geheimoperation. Sie entwickelten eine revolutionäre Kraftübertragung mittels Keilriemen für ihre Zeitmesser: THE FIRST MECHANICAL MOVEMENT ENGINEERED WITH THE ROTATING SYSTEM, INSPIRED BY THE MOST CONTEMPORARY AND TECHNICALLY ADVANCED GT CARS. Naheliegend, dass HEUER auch durch Zeitmessung und Sponsoring von FORMEL I - RENNEN wirbt. HEUER-Performance ist HIGH DEFINITION der Chronometrie, Resultat der VERSCHMELZUNG VON TRADITION, INNOVATION UND KREATIVITÄT, intoniert die Werbung. Die nicht bloss verbal hochgestochene Präzisionsmechanik hat einen krisenbeständigen Stückwert von 70‘000 EURO. Irgendwann werden natürlich auch alle erfolgreichen Chinesen die Uhr tragen. WHAT ELSE?

Und die SMART-Uhr, das Internet am Handgelenk, welche soeben von APPLE mit Lärm als globaler Event „introduced“ wurde? „Lächerlich“, sagt pathetisch der Experte in Genf: „Schauen Sie, wer die Qualität unserer Uhr kauft, der kauft Ewigkeit.“ Ist das smarte Silicon-Erzeugnis also ein Flop? Ach, schauen Sie, täglicher Batteriewechsel, Lesen mit der Lupe! „Nein, wir haben die Zeit nie verschlafen.“ In der Calvinstadt sind die Uhrmacher eben Erwählte. Man misst hier nicht den Tag, sondern den Gang der Prädestination.

  





ROHSTOFFE UND BLUTDIAMANTEN oder die puritanische Bilderscheu der wahren Weltlenker. Die alteingesessenen Privatbankiers und Rohstoffhändler der Calvinstadt sind weder auf die Werbeassistenz von Stars, noch auf Sport-Sponsoring angewiesen. Schon ihre ehrwürdig klingenden Namen verkörpern Solidität; sie flüstern sich ins Ohr und lassen ihre Adressen in einer geheimnisvollen Aura erstrahlen. Das Wettgeschrei der lokalen Börsen und die Zudringlichkeit der Medien ist den Firmen ein Gräuel. Sie sind diskret in den elektronischen Notierungen der Börsen präsent. Ihre Angebote und Werte kursieren in lichtschnellen Strömen ONLINE. Gegen Indiskretion abgeschirmt wickeln sich ihre Transaktionen in der introvertierten Glasfaserrealität des Weltweiten Netzes ab. In souveräner Stille, ja beinahe zeitenthoben, verschieben und kreuzen sich Tonnagen und Dividenden als unstoffliche Grössen durch ihre Etablissements. GELD IST ABSTRAKTION IN AKTION - heute topschnell ONLINE.

Abstrakte Werte verschleiern entwicklungsbedürftige Zustände an der Quelle der Rohstoffe.

Nach den Erhebungen der UNCTAD stammen mindestens 50% der Exporterträge von hundert Entwicklungsländern aus dem Rohstoffabbau. In der Hälfte der afrikanischen Länder machen sie sogar 80% aus. In instabilen Ländern - schwachen und gescheiterten Staaten, welche Jahrzehnte lang in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind - herrschen in den Abbauzonen oft prekäre Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung. Aufständische Gruppen usurpieren die Rohstoffquellen und finanzieren ihre Waffen aus erpressten Erträgen. Geld fliesst ins Ausland ab, statt Entwicklung zu finanzieren. Wertvolle Rohstoffe gelangen häufig durch Raubbau und Schmuggel an der durch Importländer und Unternehmen verhängten Kontrolle vorbei in den Handel. Der AFRICAN ECONOMIC OUTLOOK folgert, dass das optimistische Milleniums-Entwicklungsziel (die Halbierung der Armut) hätte erreicht werden können, wenn „die ins Ausland transferierten Ressourcen in Afrika RE-INVESTIERT worden wären“ (nach DEZA-Fokus). Der Mehrwert aus dem Rohstoff-Handelsumsatz wird in den Industrieländern abgeschöpft oder von korrupten afrikanischen Interessegruppen dorthin transferiert und reingewaschen.

Das Blut der Diamanten an der Fessel des Models ist weggeschliffen. Sie strahlen in der Reinheit ihrer Jahrmillionen dauernden Verborgenheit, aus der sie mit den technischen Mitteln unseres Jahrtausends geborgen wurden, um sich durch den Rohstoff-Welthandel in die abstrakte Werte von Aktienskalen zu transferieren. Sie wurden als Juwelen-Jewelleries-Joailleries in Kunstwerken aus Platin oder Gold eingelegt: Colliers, Armreifen, Gliederketten, Anhänger, Uhren, in deren Traumhaftigkeit sich durch Kauf wiederum Mehrwert anlegt und gegen Wertzerfall sichert.

Die technischen Mittel, welche am Anfang der menschlichen Gliederkette, zum Beispiel in den Diamantminen von Sierra Leone, zum Einsatz kommen, sind die Hände der billigen lokalen Arbeitskräfte. Die schwarzen Digger graben mit ihren Muskeln und Schaufeln Stufe um Stufe die ungesicherten, rutschgefährdeten Taggruben, an deren Rändern sie in Bambus- oder  Wellblechhütten leben. Männer, Frauen und Kinder sieben mit gekrümmten Rücken den Abbauschlamm aus. Vom Taglohn bezahlen sie keine Prämien, erkaufen sie sich weder Werte, Sicherheit noch eine Zukunft, sondern das Nötigste zum Überleben. W I R zahlen für überteuerte Rohstoffe zu viel. Jene, welche sie mit ihrer Arbeitskraft abbauen, kriegen zu wenig. Wer sorgt für den Ausgleich - etwa die Politik?

„Mit der Globalisierung sind transnationale Konzerne entstanden, die über eine enorme Macht verfügen“, formuliert AMNESTY INTERNATIONAL in einem Dossierbeitrag von 2012 zum Thema Unternehmensverantwortung. Für Voraussetzungen, gegen Arbeitsrechts- oder Menschenrechts-Verletzungen der Multis Klage zu führen, hat die Politik nicht zureichend vorgesorgt. In Staaten wie der Schweiz, wo zahlreiche Rohstoffkonzerne ihren Hauptsitz haben, fehlen für eine Klage Betroffener anderer Länder die nötigen gesetzlichen Grundlagen. Sammelklagen, zum Beispiel von Dorfschaften einer durch Bergbau oder Holzschlag im grossen Stil geschädigten Region, sind in der Schweiz nicht zugelassen. Die Beweislast fällt den Opfern zu, weil das Zivilrecht kein Beweiserhebungsverfahren festsetzt, um von einem fehlbaren Konzern die Herausgabe interner Dokumente zu erzwingen.

Die von XSTRATA, einer Tochterfirma von GLENCORE, in Nordkolumbien ausgebeuteten Kohlenminen und die von DANZER in einer Region der Demokratischen Republik Kongo geschlagenen Regenwälder schaffen zwar Arbeitsplätze, allerdings unter Bedingungen, welche aus arbeitsrechtlicher Sicht hinterfragt werden müssen. Durch die Förderung nicht mehr erneuerbarer Rohstoffe verändern die Unternehmen in industriellem Ausmass und Tempo eine intakte Umwelt. Sie zerstören dadurch oft die traditionelle Lebensgrundlage von Menschengemeinschaften und gefährden die Gesundheit ihrer Bewohner. Gefordert wird eine wirksame „gesetzliche Einbindung transnationaler Unternehmen mit Sitz in der Schweiz“, welche Klagen gegen untragbare Konsequenzen ihrer Aktivitäten zulässt und ermöglicht, sie zur  Rechenschaft zu ziehen (Alex Sutter, 2012).







Die Transaktionen des Rohstoffhandels erfolgen ONLINE. Die Transport- und Lagerungs-Logistik der physischen Ware wird heute durch Computer gesteuert. Der Absatz unterliegt zwar den Konjunkturschwankungen, doch die Nachfrage ist global langfristig stabil. Die Anlage in Aktien der Unternehmen gilt daher als risikoarm. Der transkontinentale Rohstoffhandel figuriert im Börsenindex, Preise und Kurse werben um Anleger.  Er benötigt - wenn man etwa vom Handel mit Erdöl und seinen Produkten absieht - keine konventionelle Absatzwerbung, die Basis des Geschäfts sind diskrete Verhandlungen. Die Grundlage der Marktstrategie und Macht eines Rohstoffkonzerns ist die Information. Preisabsprachen wickeln sich unter dem traditionellen Siegel der Verschwiegenheit ab. Es geht vorrangig darum, Konjunkturschwankungen vorauszusehen und die Nachfrage zu steuern. Über die Höhe des Gewinns entscheidet der Informationsvorsprung. Das Internet macht verwertbare Daten der Rohstoffmärkte heute global zugänglich. Die Information gestattet die Durchleuchtung der Rohstoffförderung und die Einschätzung der Transaktions-Gewinne.





  




WWW. Das Reich des INTERNETS ist die faszinierende Zwischenwelt des CONTENTS. Das Internet vermittelt in einem ebenso nützlichen als auch verwirrend-umfassenden Ausmass enzyklopädische Text- und Bildinformation. Es bescheidet sich darin, den virtuellen Zugang zu optischen und akustischen Räumen zu öffnen. Die Raumillusion, die dreidimensionale Projektion optisch begehbarer virtueller Räume, ist auf dem Prüfstand. Das Internet lockt nicht mit Parfums, verführt nicht mit dem sinnlichen Genuss greifbarer Ware. Es vermittelt aber die ganze Datenfülle der Wirklichkeit. Sein vernetzter Content ist in der Regel - manchmal irritierend - von Werbung umspielt. Zunehmend verlagert sich die Werbung über Adwords, Keywords oder das Suchmaschinen-Marketing auf Kosten der Printmedien ins Internet. Online Shops, Kauf- und Auktionsportale oder Handelsplattformen bieten Tools zur virtuellen Selbstbedienung an. Sie öffnen den direkten Zugang zum elektronischen Geschäft. Daten und Transaktionen der BÖRSE laufen heute automatisiert und lichtschnell ONLINE. DOIT! Das Internet offeriert den LINK zur käuflichen Welt: zum physischen MARKT und zum Finanzmarkt. Das Worldwide Web ist der virtuelle SUPERMARKT.

Es ist keine Frage: Der wichtigste und wohl teuerste Rohstoff ist die INFORMATION. So war es immer. Heute ist die Ware Information digitalisiert und vernetzt. Über Kabel ist ihr Angebot global verfügbar. Aber Information ist nie eindeutig. Sie fordert die Auseinandersetzung ein, ruft nach Interpretation. Rating und Ranking sollen als bequeme Dienstleistungen Transparenz schaffen. Aber eindeutige Bewertungskriterien - zum Beispiel in Bezug auf die Qualität oder Bonität von Produkten und Anlagen - gewährleisten sie nicht. Klick- und Linkpopularität bestimmen wie Einschaltquoten und andere quantitative Kriterien den statistischen Marktwert eines Produkts. Sie fügen es in eine Rangordnung, auf deren Verlauf Marketing und Werbung einen prädeterminierenden Einfluss ausüben. 

Nicht leicht durchschaubare Hierarchien durchdringen die virtuelle Welt. Private Konten sind geschützt. Gewisse Bereiche sind nicht ohne Unterschied für alle, sondern nur für  eingetragene Nutzer über ein Passwort zugänglich. Immer wird politische und private Instanzen die Sorge umtreiben, dass Daten in „falsche“ Hände gelangen und missbraucht werden oder sensible Information „richtig“ - etwa verfassungskonform oder sach- und zweckdienlich - interpretiert wird. In dieser Hinsicht hat sich im Grunde seit jeher nichts verändert. Es gibt Interpretations- und Nutzungs-Monopole und - zum Glück - den Schutz der Privatsphäre, der Authentizität, des Urheberrechts. Doch in der global vernetzten Welt hat sich auch eine politisch sanktionierte geheimdienstliche Überwachung und ausserdem - vorwiegend zum Bewerbungszweck - ein bezahlter „Datenklau“ etabliert. Nutzer haben sich in einer Reihe von Staaten mit autoritären Restriktionen, ja sogar mit der Ausnahme politischer Zensur abzufinden. 

Alles für alle? Wir fordern Transparenz und Demokratisierung der Information, beanspruchen das Recht auf freie Meinungsäusserung, das Verbot der Zensur. Doch zugleich verlangen wir nach dem Schutz der Privatheit, des Ich-Monopols, der Identität und des geistigen Eigentums gegen mögliche Verletzung. Ein uraltes Dilemma erwächst uns mit dem Internet in globaler Dimension. Fragen beunruhigen. Welche übergeordnete Rechts-Instanz kontrolliert den Informations- und Meinungsmarkt in seiner Entgrenzung? Welche Instanz schützt die gesamte Information gegen Risiken des Missbrauchs, der Verzerrung und der Konsequenzen ihrer möglichen Kommerzialisierung? Wer bestimmt global die Grenzen des Rechts- und Sittlichkeitsempfindens oder schätzt etwa die Schutzwürdigkeit gegen die Konsequenzen politischer Propaganda ein?

Lässt sich die durch den Streit um die Meinungsfreiheit im Kulturkampf abgeklärte Empfehlung Louis Veuillots auf unsere Zeit der digitalen Information hin anwenden? Der katholisch-konservative Journalist und Publizist meint 1871: „Die Zeitungen sind eine solche Gefahr geworden, dass es notwendig ist, ihrer viele zu schaffen. Die Presse kann nur durch die Presse bekämpft, nur durch die Menge neutralisiert werden.“ Ist mit Bezug auf den digital-vernetzten Meinungsmarkt fatalistischer Zynismus angesagt? Wird am Ende die Wirkungsmacht des Diskurses im weltweiten Netz durch die Masse der Information und die Zahl der Meinungsmacher aufgehoben? Gipfelt die Logik der von liberalen Kreisen als heilsam beschworenen Medienvielfalt nicht durch die schiere Menge an Information in einem desolaten Zustand kommunikativer Zwecklosigkeit? Würde man die dogmatisch formulierte Einsicht eines Börsenmaklers, dass der Markt immer Recht habe, auf den Meinungsmarkt beziehen, nähme man da nicht hin, dass Recht und Wahrheit oder der Vorteil einschlägiger Information käuflich sind, dass  d e r  sich Recht und Anspruch auf Gehör oder den nützlichen Informationsvorsprung verschafft, welcher über Kapital und Macht oder über die unschlagbare Kompetenz Lärm zu verbreiten und sich zu vermarkten verfügt?

Die Hoffnung: Das Internet ist eine Garantie für Bildung. Es liegt in der Kompetenz und Verantwortung der Nutzer, das Netz für alle gleichberechtigt offen zu halten. Entscheidende Voraussetzung ist die Erhaltung demokratischer Strukturen. Solange die mit der notwendigen Leidenschaft geführte Diskussion der begrifflichen Missverständnisse von Open Source und ihrer Regeln anhält, wird sie dem Trend zur Monopolisierung der Information vorbeugen. Aber im Netz sind „alle“ bekanntlich „viele“. Der Grund zu Zweifel: Lässt sich der Bildungsoptimismus, lässt sich die Hoffnung auf eine basisdemokratische Zukunft des Internets rechtfertigen, wenn man unter Bildung nicht konformistische Aneignung von digitalisiertem Wissen, sondern Ausbildung der persönlichen Wahrnehmung und Entwicklung sozialer Kompetenz versteht? Die Entwertung und Verzerrung der Information tritt ein, wenn die digitale Zwischenwelt zur ausschliesslichen Quelle kommerzieller Verwertung und zum Mittel karriereorientierter Profilierung pervertiert, wenn die Zeit des Experimentierens aufgekündigt wird, wenn die Neugier als Quelle der Forschung zur Spionage verkrüppelt und der Pluralismus einer von Angst und Gegenterror verordneten Kontrolle aufgeopfert wird.








Käuflichkeit und Verkäuflichkeit des Menschen



ENTWEDER  MANHATTAN,  ODER MAN HATT‘N  NICHT!

Wen? Den Datenpool, den Tauschwert, den Börsenkurs, den Markt, den Link, die Adresse, den Code, das Knowhow, den Kniff …

BEI  UNS  KOMMEN  SIE  AN  ALLE  DATEN…

und mit uns auf den Markt, an die Ware, an den Kunden, an die Jobs, an die heissen und coolen Sachen, die Information, das Geld, die Beziehungen, die Karriere …

SEARCH! Wir versorgen Sie gegen Tarif mit dem ausgesuchtesten Material. Mit dem Angebot wirbt der spezialisierte Daten-Lieferant für Grosskunden. Einer lockt mit der Schlagzeile: MACHEN SIE SICH SELBST ZUM MILLIONÄR WIE ICH!

Vom Datenpool kauft man sich das Knowhow, welches befähigt zu lernen, wie man sich selbst am teuersten verkauft. Wie man sich den durch Headhunters ermittelten Kaufwert erwirbt. Wie man den Markt erforscht, Bedürfnisse erkennt oder kreiert und sich das Konsum- oder Investitionsinteresse sichert. Wie man sich Kredit und Kapital oder die Arbeit anderer verfügbar macht, indem man sich ihr Potential erkauft.







Henry Ford führte in den USA gerade das Fliessband in die Automobilindustrie ein, Krupp goss im Deutschen Reich das weittragende 42-cm-Geschütz und der preussische Virilitätskult hatte fünf Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Hochkonjunktur.

Karl Kraus diagnostizierte um diese Zeit eine „Monopolisierung der Lebensgüter durch den Kaufmann“. Er beobachtete, wie die merkantilen Interessen zunehmend auch das geistige Leben aufsogen und Kunstwerken nur die Chance liessen, sich selbst zur Ware zu machen, wenn sie auf dem Markt etwas gelten wollten. Das heisst: In der geschäftigen Zeit blieb der Kunst die Wahl, sich selbst zu kommerzialisieren oder die Profanierung der Vermarktung zu erdulden, selber Opfer der allgemeinen Kapitalakkumulation zu werden. Die Autonomie des Geistigen war auf die Probe gestellt.

Kraus fragte zynisch, weshalb wir überhaupt „für kulturelle Ideale zahlen sollten, die als Emballage für einen Hosenstrecker nicht einen Pfennig kosten“. Das Geschäft usurpierte die Kultur mit der zeitgemässen Arroganz als Werbeplattform und machte sie von seiner galanten Zuwendung abhängig. Dass auf der Bühne die seichte Unterhaltung - Affären, Schneid und schnoddrige Witzigkeit - die Vorliebe des urbanen Publikums gewann, kam bald dem Militärregime an der Heimatfront zustatten, denn sie sorgte 1914/18 für Ablenkung vom Massensterben an der Grabenfront. Kraus erfasste solchen Zynismus glanzvoll mit dem Brennspiegel seiner kulturkritischen Essais und Glossen.










Zwanzig Jahre nachdem ein Besuch im Schlachthof von Chicago Henry Ford zur Einführung des Fliessbands in der Autoproduktion inspiriert hatte, wodurch er die Stückproduktion auf das Zwölffache steigerte, hatte die Weltwirtschaftskrise auf ihrem makabren Höhenflug Millionen Arbeiterexistenzen von Notküchensuppe abhängig gemacht. In den USA, wo die Arbeitslosigkeit bis 1932 auf über 20% anstieg, propagierte die „Technokratiebewegung“ die Beseitigung von Wirtschaftskrisen durch den Einsatz technisch-wissenschaftlicher Methoden unter einer Planungselite. Sogenannte „Gesellschafts-Ingenieure“ sollten das zweckdienliche utopische Staatswesen inaugurieren. In der Weimarer Republik ging es rauer und weniger utopisch zu. Der Kampf um die totale Macht entbrannte. Bei den Wahlen zum Reichstag von 1930 gewannen die Kommunisten und Nationalsozialisten, nachdem sich ihre radikalen Anhänger wilde Strassenkämpfe geliefert hatten, gegenüber SP und Zentrum einen gefährlichen Zuwachs.

Genau einundzwanzig Jahre nach der Publikation seiner Artikel über „Fortschritt“ und die „Welt der Plakate“ im Simplizissimus von 1909 stellte Karl Kraus eine Glosse unter dem Titel „Fordschritt“ in „Die Fackel“, die Zeitschrift, mit der er fast im Alleingangs seinen Kulturkampf führte. Der folgende Text erschien mit dem Untertitel „Der standardisierte Mensch“:

„Henry Ford hat kürzlich hundert Millionen Dollar für die Errichtung einer Schule gestiftet, die er die Schule der Zukunft nennt. ‚Ich habe so lange Autos fabriziert‘, erklärte er, ‚bis ich den Wunsch bekam, nunmehr Menschen zu fabrizieren. Die Losung der Zeit ist Standardisierung.‘ - - Die erste Musterschule Fords, die ihre Tätigkeit bereits begonnen hat, nimmt nur Knaben im Alter von 12 bis 17 Jahren auf. Verpönt sind Sprachen, Literatur, Kunst, Musik und Geschichte. - - Die Lebenskunst müssen die Schüler lernen, sie müssen verstehen,  z u  k a u f e n  u n d  z u  v e r k a u f e n. - - Endlich einmal tabula rasa mit Vorwänden, die dem einzigen und wahren Lebenszweck vielfach hinderlich waren!“

 




Souverän schiebt der Automobilkönig mit seiner Schulstiftung die Schuld an der Wirtschaftskrise auf die ökonomische Unvollkommenheit des Menschen. Offensichtlich fördert Geld auch die Abstraktion der Denkprozesse im menschlichen Hirn. Henry Ford versteht unter Lebenskunst als Lernziel seines Schulprogramms implizit auch die Befähigung des Menschen,  s i c h  s e l b s t  z u  v e r k a u f e n.


ENTWEDER MANHATTAN ODER MAN HATT’N NICHT!


Hans Dampf im Schneckenloch hat alles, was er will. Was er will, das hat er nicht, und was er hat, das will er nicht. Doch alles ist im Angebot, sofern er - kauft.

Ihm die Kauflust als Antrieb zur Selbsterfüllung einzutrichtern, ihm auf Tod und Leben einzuheizen, damit er sich kaufbefriedigt, ist das ABC oder das heimliche Dogma von der Motorik des Markts.

Dass er hat, was er will, und dass er fortschmeisst, was er nicht will, will der Markt. Seine Kauflust zu reizen, seinen Konsumwillen zu erhalten, ihn auf das Produkt mundwässerig zu machen, auf die Marke einzuschwören, ihm das Grundgesetz des Markts unter die Haut zu ätzen, als unumstössliche Wahrheit samt den Slogans auf den Leib zu tätowieren, und seinen Glauben an die selbstregulierte Beständigkeit des grossen Versorgungskreislaufs als seligmachend zu kräftigen, das ist das Geschäft der Werbung.

Sie verrät ihm, wie er sein  S e l b s t  aufwertet, wie er sich  s e l b s t  verwirklicht!

Die Werbung ist das Buch der Bücher. Dass er sich’s auf die Haut schreibt und sich somit selbst zum Werbeträger macht, als die moderne, sportlich-wendige Variante des Sandwichmanns, das macht ihn zu dem immer modisch ausgestatteten, trainierten, genussfähigen, selbstsicheren und rundum auch versicherten Menschen. Durch solche Verwandlung wird er wie jedermann zum erleuchteten Werbeidol und Agenten des „Konsumismus“ - sofern er, selbstredend, hat, was ihn zum Käufer und Werbeläufer macht, eben das Tauschmittel: Geld! Aber das ergibt sich ja aus der Verfassung des Güterkreislaufs, in den er als Arbeitskraft integriert ist, von selbst - sofern er, selbstredend, Job und Einkommen nicht verloren hat!

Niemals soll er aber die Wahrheit internalisieren, dass er sich auch zum Aspiranten einer grassierenden Schwindsucht macht: der Verwöhnung. Die unbewusste Adoption des Angebots als Prothese für kritische Initiative und Eigenleistung macht ihn zum standardisierten Subjekt: macht ihn zum Menschen, der die Freiheit aus purer Gewöhnung als Freiheit der Auswahl vergöttert und nicht merkt, dass er selbst zum Produkt des Sortiments geworden ist.

Von Henry Ford ist folgende damals wohl mit Bedacht nicht öffentlich gemachte Einsicht überliefert: „Wüssten die Menschen, wie das Geldsystem funktioniert, hätten wir eine Revolution vor morgen früh.“

Es hat allerdings den Anschein, die Menschen wollen es gar nicht wissen, solange es ihnen gut geht, das heisst, solange ihre Teilnahme am Überfluss gesichert und ihr Selbstinteresse rundum befriedigt ist. Sie verkaufen ihre Arbeitskraft gegen vertraglich zugesicherten Lohn und hinterfragen nicht, ob es im Gesamtinteresse gut ist, wofür sich das Produkt ihrer Arbeit verkauft.



















Gewusst wie: Wissen wir, was wir wollen oder nicht wollen?



Durch die Schule des Fordschritts sind wir inzwischen alle gegangen und haben bei unserem Lehrgang gelernt, wie man sich als Arbeitnehmer selber verkauft, wie man seinen Tauschwert gegen Honorar und Beachtung einlöst oder wie man in Führungsposition den gigantischen Kreislauf in Gang hält, auch wenn wir uns gesamthaft darin verlieren, weil die Komplexität uns überfordert und der Überblick über die Zusammenhänge uns zunehmend entgleitet.

Was das originale Staatswesen der Aufklärung heute über den zunehmend auf Berufskarriere und Markt orientierten oder auf angepasstes Know-how-Wissen hin systematisierten Bildungs-Programmen vernachlässigt, ist die Schule, in welcher man lernt, wie man sich  n i c h t  verkauft, damit man sich selbst nicht abhandenkommt.

Wie lässt sich verhindern, dass uns ein Markt, der sich zunehmend in der „Kasualität“ der Angebots-Multiplizierung auflöst, vereinnahmt? Verhindern, dass wir als Subjekte der Marktevolution freiwillig auf den Anspruch verzichten, umfassenden Einblick in die Produktionszusammenhänge zu gewinnen, weil wir uns ungeteilt dem Konsumgenuss verschrieben haben? Verhindern, dass wir uns zu standardisierten Verkehrsteilnehmern machen, indem wir - als Hansdampfe per Leasing - „unseren“ Ford kaufen, den wir gegen Eintausch unserer Arbeitskraft indirekt selbst am Fliessband und heute durch Roboter aus hochraffinierten Bestandteilen zusammenmontiert haben, um ihn darauf in Unschuld mit dem Zuschlag seines Mehrwerts zurückzukaufen? Wie lässt sich verhindern, dass sich unser Gerechtigkeitssinn nicht empört, weil wir zum Beispiel auf dem Schwarzen Kontinent teure Rohstoffkomponenten des komplexen Produkts auf Kosten unserer Gesundheit und unter demütigender Entbehrung gefördert haben. Und verhindern, dass wir uns noch einreden Gutes zu tun, wenn wir das billigbunte T-Shirt und die Label-Jeans kaufen, die wir in Bangladesh im Wrack einer Ausbeuterfabrikation bei tropischen Klimaverhältnissen eigenhändig genäht haben? Wie lässt sich  SOLIDARITÄT  entwickeln?

Die Tatsache ist von unüberbietbar aufdringlicher Evidenz: Um den Ausstoss unter globalem Konkurrenzdruck zu steigern, Highways mit Massenmobilität zu überschwemmen und Zentren zu verstopfen, übertrumpfen sich die Anbieter auf den Salons und in der Werbung mit immer neuen technischen Finessen, mehr Luxus und Komfort, bestechenderen Designvarianten und verlockenderen Leasingangeboten. Ein Workflow unerbittlicher Wiederholung und grenzenloser Borniertheit. Läuft  d a s  unter dem Begriff Fortschritt?

Dabei liesse sich der Übergang zur umweltgerechten Gesellschaft durch Gesetzgebung steuern. Die Probleme des dramatischen Klimawandels sind theoretisch lösbar. Um die Ressourcenverschleuderung abzubauen wäre entschieden auf umweltbelastende und riskante Methoden der Energieausbeutung wie Tiefseebohrungen oder Fracking zu verzichten. Das wirtschaftliche Wachstum liesse sich auf Kosten eines abenteuerlichen Monopolismus regulieren. Ökologisch sinnvolle Produktion sollte nachhaltig gefördert und gezielt auf kleinere spezialisierte Unternehmen verlagert werden. Die Konkurrenz unnötiger freier Mobilität wäre zu limitieren und der öffentliche Verkehr im Gesamtinteresse auszubauen. Neue Verkehrs-, Wohnbau- und Siedlungs-Konzepte, die Erschliessung urbaner Anbauflächen (Verwandlung von Betonwüsten in wohnliche und zugleich produktive Grünräume) sowie die radikale Umstellung auf saubere Energieträger würden qualitatives Wachstum garantieren. Die Computertechnologie errechnet heute die unverzichtbaren Informationsgrundlagen - zum Beispiel Vorhersagemodelle zur Veränderung des Ökosystems, Entwicklungsmodelle zur Planung der Zukunft. Die Entflechtung der monopolistischen Interessen wäre allerdings die Herkulesaufgabe, die kein Computer, sondern nur eine politische Instanz löst, welche erst zu schaffen wäre. Vorstellbar ist die Utopie eines globalen Interessenverbands, welcher Autorität und Macht der Vereinigten Nationen oder einer selbst radikal vergrösserten G8 oder 12 bei weitem übertrifft. Um den globalen Wettbewerb des Grössenwahns zu befrieden, und ein Klima globaler Solidarität zu begründen, wäre wohl eine supranationale Organisation erforderlich, ähnlich jener, welche Albert Einstein und einem von ihm 1946 mitbegründetes Notstandskomitee von Wissenschaftlern mit dem Ziel vorschwebte, das damals drohende atomare Wettrüsten aufzuhalten.


Der Harvard-Dozent Norbert Wiener warnte kurz nach Ende des Weltkriegs vor der Existenz eines militärisch-industriellen Komplexes und der Käuflichkeit amerikanischer Wissenschaftler. Er ahnte, dass sich ein Teil von ihnen in den politischen Plan zu einer massiven Aufrüstung der US-Streitkräfte einspannen liesse. Einstein hoffte damals auf einen Streik der Wissenschaft und bestärkte die Idee des Widerstands noch mit der Mahnung, „Unterwerfung unter die Gesetze des Staats“ dürfe „nicht blind sein“. Ende 1947 wiesen führende Mitglieder der Sowjetakademie der Wissenschaften in einem „offenen Brief“ an Einstein auf den unaufhaltsamen imperialistischen Expansionsdrang „kapitalistischer Monopole“. Der Brief markierte die unterschiedliche ideologische Position und diskreditierte gleichzeitig die „Chimäre“ eines „Weltstaats“ unter den herrschenden Bedingungen. Als in den USA politische Gesinnungsschnüffelei das Klima unter den Wissenschaftlern zu vergiften begann und die Debatte im Kreis der Konferenz von Princeton das Dilemma um eine politische  Verantwortung der Wissenschaft in endlosen Debatten offenlegte, versuchte Einstein die scheinbar ausweglose Lage pointiert in eine witzige „Resolution“ zu fassen:

„Nach drei Tagen gründlicher Diskussionen sind wir amerikanischen Wissenschaftler zu folgenden Schlüssen gelangt:

Wir wissen nicht,

a.     Woran wir glauben
b.     Was wir wollen
c.      Was wir sagen, und
d.     Was wir tun sollen.

Im Hinblick auf den von russischen Wissenschaftlern unterschriebenen Offenen Brief möchten wir für sie eine Parallelresolution vorschlagen:

Nach gründlicher Diskussion und gebührender Beratung mit unserer Regierung wissen wir:

a.     Woran wir nicht glauben,
b.     Was wir nicht wollen,
c.      Was wir nicht sagen, und
d.     Was wir nicht tun werden.“


Das Notstandskomitee setzte weiterhin seine ganze Autorität für den Frieden in einer Welt ohne Bombe ein. Doch unter der „Vorspiegelung äusserer Gefahr“ verhaftete eine reaktionäre Ketzer-Inquisition Reihen kritischer Intellektueller. Einstein war nicht blauäugig. Er selbst hielt den „Versuch, Vernunft zu predigen in dieser pathologischen psychischen Atmosphäre“ 1951 für aussichtslos. Er gab nicht auf, wusste aber im Grunde, dass seine Idee scheitern würde.







Ein kursorischer Blick auf die zweite Jahrhunderthälfte, die Phase der Aufrüstung und des Kalten Kriegs, zeigt, dass es glückte, das fatale Scheitern nahe an der atomaren Katastrophe vorbei irgendwo zwischen wirtschaftlicher Konkurrenz und Konvergenz der Systeme aufzufangen und strategisch zu stabilisieren:

Die reale, durch politische Propaganda aber wahnhaft übersteigerte, zeitweise hysterische Angst vor dem atomaren Vernichtungskrieg einerseits und der durch Kaufwerbung entfachte Konsumrausch andererseits konditionierten die Mehrheit der Menschen Nordamerikas und Westeuropas in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zur Identifikation mit dem kapitalistischen System und seinem technologischen Überlegenheitskult. Henry Fords standardisierter Mensch war durch die aufgeladenen Bedingungen in den Kreislauf von Produktion und Konsum eingeschaltet. Das sogenannte Wirtschaftswunder begründete den Aufstieg der in das westliche Bündnissystem integrierten Bundesrepublik Deutschland.

Die Machtdemonstration der Kubakrise von 1962 verstärkte die militärische Entschiedenheit, welche den Selbstvernichtungsakt eines atomaren Schlagabtauschs abgewendet hatte. Ende der Sechzigerjahre, vor allem während des grausamen Vietnamkriegs, welcher westliche Illusionen militärischer Überlegenheit in Frage stellte, setzte die ideologische Debatte und Krise ein. Terrorismus und konjunkturelle Einbrüche folgten, Widersprüche wurden durch Aktivismus, Drohungen und Propaganda auf beiden Seiten der kalten „Kriegsfront“ hochgespielt und weggeleugnet. Die Grossmächte brachten in die Tiefe gestaffelte Raketensysteme in Position. Die paradoxe Theorie von der Friedenserhaltung durch ein immer neu ausgehandeltes atomares Rüstungs-Gleichgewicht etablierte sich und schien einen Status Quo zu stabilisieren. In den Achtzigerjahren wurde im westlichen Bündnis die ökonomische Schlacht der neoliberalen Revolution entfesselt. Sie demonstrierte die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Systems der „freien Welt“. Der erfolgreiche Wirtschaftskrieg führte - noch einmal glimpflich an einer Machtdemonstration vorbei - zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Die sogenannte Wende löste den Ansprung zur „Vollendung“ der globalen Kommerzialisierung aus.

Wir realisieren: Der Lauf der Geschichte lässt sich nicht kalkulieren. Was lässt sich vorkehren, dass er sich nicht unter komplexen neuen Konstellationen in einen Wettlauf des menschlichen Scheiterns verkehrt?









Kaufkraft und Verführungsmacht des Geldes



Im siebenten Kapitel des „Historischen Hauptstücks“ seiner „Kritik der zynischen Vernunft“, reflektiert Peter Sloterdijk 1981 den Begriff der „Depersonalisierung und Entfremdung“ oder die „Psychologie des produktiv-konsumtiven Menschen“ im 20.Jahrhundert. Sloterdijk zitiert und kommentiert Walter Rathenaus 1912 publiziertes Werk „Zur Kritik der Zeit“. Der schöngeistig gebildete Sohn des Gründers der AEG übernahm im selben Jahr den Vorsitz des Aufsichtsrats des Elektrokonzerns. Seine bedeutende kultur-anthropologische Auseinandersetzung mit dem technischen Fortschritt widmete Rathenau seinem Berliner Freund Gerhard Hauptmann, dem grossen sozialkritischen Erzähler und Dramatiker.

In einer Zeit, wo die Mechanisierung der Industrie unter dem Einsatz der Energien Kohle, Elektrizität und Erdöl einen Aufschwung gigantischen Massstabs auslöste; wo die Medizin die Betriebsstoffe des Körpers, 1901 etwa das Stresshormon Adrenalin, entdeckte; wo die chemische Industrie Hormone synthetisch herzustellen und Psychopharmaka zu entwickeln begann; wo Unternehmen und politische Parteien die modernen Manipulatoren Werbung und Propaganda systematisch zum Zweck der Absatzsteigerung und politischen Formierung einsetzten - in dieser Zeit verfasste der hellsichtige Industrielle Rathenau den Band „Zur Kritik der Zeit“ und ausserdem, genau ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, seine zweite zeitkritische Schrift „Zur Mechanik des Geistes“ (1913).

Rathenau verfolgt unter der Formel von der „Mechanisierung der Welt“ den Kerngedanken, dass der Mensch sich als agierendes Subjekt im mechanischen Kreislauf von Produktion und Konsumtion seiner Natur entfremdet. Er wird durch das zwar von ihm selbst hervorgebrachte, aber  zunehmend eigengesetzlich funktionierende System dominiert, fremdbestimmt und entpersönlicht. Kurz formuliert: Er wird als der Betreiber zum Getriebenen, wird im komplexen Getriebe selbst zum mechanischen Teil und als Konsument zum Opfer von „Überreizungen“. NB: Chaplins Stummfilm „Modern Times“ wird der modernen Form der Versklavung durch die mechanischen Verrichtungen der Fliessbandproduktion ein groteskes satirisches Denkmal setzen (1936).








Sloterdijk kommentiert: „Längst ist die mechanische Produktion über die elementaren Ziele von Nahrung, Kleidung, Selbsterhaltung und Lebensschutz hinausgeschossen; in stets erweiterten Kreisungen von Produktion und Konsum schafft sie neue ‚Begierden‘, einen masslosen ‚Warenhunger‘, der zunehmend auf Künstlichkeiten sich richtet. Mechanisierung ergreift somit selbst die Wünsche ‚in der Irrealität, Leblosigkeit und Schattenhaftigkeit ihrer Produkte und Moden‘. Rathenaus Folgerungen treffen zielsicher die Quintessenz soziologischer Entfremdungstheorien: ‚Die mechanische Produktion hat sich zum Selbstzweck erhoben‘.“

In Rathenaus zeitgemässer moralisierender Wahrnehmung urbaner Zivilisation hat der Entfremdungszustand des Menschen in der „Verdichtung“ des Grossstadtlebens und eines expandierenden Markts deutlich die Attribute eines Suchtverhaltens. Sloterdijk zitiert Rathenau: „Es entstehen Vergnügungen sensationeller Art, hastig, banal, prunkhaft, unwahr und vergiftet. Diese Freuden grenzen an Verzweiflung… ein Sinnbild entarteter Naturbetrachtung ist die Kilometerjagd des Automobils… Aber selbst in diesen Tollheiten und Überreizungen liegt etwas Maschinelles. Der Mensch, im Gesamtmechanismus Maschinenführer und Maschine zugleich, hat unter wachsender Spannung und Erhitzung sein Energiequantum an das Schwungrad des Weltbetriebs abgegeben.“

Während des Weltkriegs 1914-18 übernahm Rathenau den Auftrag, die Verteilung der kriegswichtigen Rohstoffe im Reich zu organisieren. Im Juni 1922, sechs Monate nach seiner Ernennung zum Aussenminister der Weimarer Republik, wurde Rathenau von einem Zuhörer seiner Vorträge, einem fanatischen judenfeindlichen Nationalisten, in Berlin Grunewald ermordet.





Walther Rathenau

Ein Dissident seiner Klasse, seiner Rasse und seines Geschlechts

Walther Rathenau gehörte 1919 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). In seiner kurzen Amtszeit als Wiederaufbau- und danach als Außenminister wurde kein anderer Politiker von den Deutschnationalen und Völkischen derart mit Haß verfolgt, geschmäht und verleumdet ("Stecht ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau"). Am 24. Juni 1922 wurde er von Fanatikern der Rechten ermordet. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ließ Hitler den Mördern einen Gedenkstein errichten. (Zitat: Udo Leuschner)



Im Kapitel „Tauschzynismus“ des „Phänomenologischen Hauptstücks“ ordnet Sloterdijk dem Geld die „zynische“ Potenz zu, neben den ökonomischen auch „höhere Werte in schmutzige Geschäfte zu verwickeln“ - er versteht darunter die „ideellen“ Werte. Wo das Geld seine alles durchdringende „Kaufkraft“ entfaltet, ist ihm eine analoge „Kraft der Verführung“ eigen. Diese „übt ihre Macht über diejenigen aus, deren Wünsche, Bedürfnisse und Lebenspläne die Form von Käuflichkeiten angenommen haben - und das sind in der kapitalistischen Kultur mehr oder weniger alle.“ Das Geld hat also an und für sich die Macht, den Menschen als moralisches Wesen zu „depersonalisieren“ oder dazu zu verführen, sich fremden Interessen und der für ihn letztlich undurchschaubaren „wertzynischen Motorik“ des Markts zu unterwerfen. Das Recht ist immer auf der Seite des Markts. Er verführt zu „anrüchigen Tauschakten“ und macht die von ihm abhängigen „Akteure“ zu Schuldigen. „Verführung im Sinne von ‚Bedürfnislenkung‘ gehört ja zu seinen Grundprinzipien“ genauso wie die Festlegung des Kaufwerts der Arbeit „im Tausch der Arbeitskraft gegen den Lohn“.

„Arbeit ist Geld“ - der Satz hat aus der Sicht des Lohnabhängigen eine ganz andere Bedeutung als in der Sehweise des Investors, für welchen „Geld arbeitet“, was heisst, dass in Arbeit und Produktionsmittel investiertes Kapital einen Mehrwert generiert, über welchen er als Unternehmer das Verfügungsrecht beansprucht. Der Mehrwert - William Thompson führte den Begriff vor Marx in die Diskussion ein - ist die Summe, um welche der Marktwert der Ware den Aufwand für ihre Produktion und Vermarktung übersteigt. Der Kapitalismus rechtfertigt den Mehrwert durch den Verweis auf das „volkswirtschaftliche ‚Gesamtinteresse‘“. Diese Rechtfertigung ist darauf angelegt, dass das Marktgeschehen durchgehend einschätzbar und krisenresistent bleibt, sie setzt also wirtschaftliche und politische Stabilität voraus und verbietet unberechenbare Geschäftspraktiken zur Gewinnoptimierung, welche die Sicherung der Arbeitsplätze, des sozialen Wohlstands und des Friedens gefährden. Aber die Realität straft die Rechtfertigung Lügen. Als Rathenau seine Schrift „Zur Kritik der Zeit“ verfasste, herrschte in Europa eine durch nationale Konkurrenz und Propaganda aufgeheizte Kriegsstimmung. Reichstagsbeschlüsse segneten Riesenbudgets für Rüstungsprogramme und die Aufstockungen des Heeresbestands ab. In Deutschland floss ein wachsender Teil des durch Steuern abgeschöpften Mehrwerts in die Rüstung, deren Arsenale der kommende Weltkrieg zusammen mit dem Leben von Millionen Soldaten und Zivilpersonen sinnlos vernichtete. Sloterdijk ortet die fatale Logik der militärischen Katastrophen des 20.Jahrunderts im Verrat am volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse: „Es werden Unsummen von Mehrwert in politisch-militärische Strukturen gepumpt, die sich schier unaufhaltsam in eine immer riskantere gegenseitige Bedrohung verstricken.“







In einem expansiven „freien“ Markt verschiebt sich der Fokus des Gesamtinteresses, wie die Hintergründe der letzten Finanzkrise demonstrieren, um geographische Breiten. Unter den Bedingungen eines immer härteren globalen Wettbewerbs, dem Druck lauernder Markteinbrüche oder „feindlicher“ Übernahmeangebote investieren Unternehmen einen hohen Prozentsatz ihres Mehrwerts in strategische Massnahmen zur Marktkontrolle, in das Human Ressource Management sowie in die sogenannte „Bedürfnislenkung“, die Werbung für ihre Produkte. Wollte man die Werbung als strategisches Medium der Verführungsmacht des Geldes bezeichnen, nähme man möglicherweise eine Begriffsverwirrung in Kauf. Gewiss ist: Auf einem Markt, welcher im Kreislauf von Produktion und Konsum dauernd neue Bedürfnisse erzeugt, um den Unternehmensgewinn und die Attraktivität der Aktienkurse zu steigern, wird Werbung immer die Zweckmässigkeit, die Qualität und den Genusswert eines Produkts propagieren und zu diesem Zweck den gesamten Zirkus der Aufmerksamkeit bespielen. Auf keinen Fall wird sie den Nutzen eines Produkts im „volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse“, das heisst zum Beispiel seine gesundheitliche und ökologische Verträglichkeit, je in Frage stellen oder Resultate von Untersuchungen offenlegen, welche seine Qualität oder Effizienz als fragwürdig erscheinen lassen. Solche Rücksichten sind nicht Sache der Produkte-Werbung.

Der Markt ist langmütig, er erfüllt alle Interessen und macht sich alle möglichen Interessen dienstbar. Er verträgt sich auch mit dem Konsumentenschutz und mit Gesetzen, die seinen Freiraum gewiss nicht so rigide einschränken, dass sie seine innovative Kraft behindern. Dass der Gesetzgeber die Zigaretten-Industrie zwingt, jedes Päckchen mit dem Aufdruck „RAUCHEN TÖTET“ und der Abbildung einer zerfressenen Lunge zu versehen, ist ein gewöhnungsbedürftiger Kraftakt, der allerdings die globale Expansion des Markts nicht unterbindet. Fünf Tabak-Konzerne decken heute 80% des weltweiten Zigarettenhandels ab. Entwicklungsländer sind ihre Zukunftsmärkte. Die von der Konvention der WHO zur Eindämmung des Rauchens verfügten  Werbebeschränkungen festigten die Marktanteile der Mächtigen. Der paradoxe Aufdruck „WAFFEN TÖTEN“ auf smarten Fernlenkraketen oder Corner-Shot-Guns für den Strassenkampf würde den Abschluss teurer Kontrakte an internationalen Waffenmärkten kaum noch beflügeln. Dass sie „SICHER“ töten, schulden sie ihrem Werbeprofil. Die Perfektionierung ihrer Tötungsgewalt ist progressiv. Der Waffenhandel ist schliesslich zu einem der lukrativsten Gewerbe angewachsen und seine Werbung in Fachzeitschriften geniesst die diskrete Aufmerksamkeit abgeschotteter Fachkreise im Dienst von Regierungen und Organisationen aller Welt. Auch diese Branche verfügt in Entwicklungsländern über Zukunftsmärkte. Indien ist weltweit der grösste Importeur. Der Marktanteil der Mächtigen, möchte man sagen, steigt mit ihrer Konkurrenz um Einfluss auf Krisenregionen. Zahlungskräftige unter den Staaten in Spannungszonen nutzen aber die Konkurrenz der Grossen zu ihren Gunsten aus. Streben die USA ein Entspannungsabkommen mit dem Iran an, rüsten Saudi-Arabien und die Golfstaaten umso massiver auf, während die Türkei mit dem Nato-Austritt droht und sich mit chinesischen Waffenimporten hochrüstet. Innenpolitisch hat die Regierung Obama mit Einschränkungen des Waffenhandels gegen die starke Lobby wenig Chancen, nach rassistischen Übergriffen entzog sie aber der Polizei den Zugriff auf militärische Waffen.

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Die „Lebenspläne“ von Menschen, welche ihre Karriere planmässig verfolgen, sind wohl auf klassenspezifische Angebote ausgerichtet, welche - mit Sloterdijks Ausdruck - ihre besondere „Form von Käuflichkeit“ bedienen. Wenn in der aufsteigenden Betriebshierarchie durch Sonderangebote wie leistungsorientierte Vergütungen („Boni“) und Beförderungsaussichten die „Verführungsmacht“ des Geldes wirksam wird, dann sind sie unter Umständen bereit, auch Zumutungen von Sonderbedingungen in Kauf zu nehmen. Die mit dem Leistungs- und Kompetenzzuwachs verbundene Chance, dereinst Sonderbedingungen im Sinn der eigenen Vorstellungen zu verändern, erleichtern in einem Gewissenskonflikt allenfalls pragmatische Lösungen. Eine Leistungsethik, wie sie etwa einer calvinistisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft eigen ist, prägt ein Rollenideal, welches die Herausforderung von Top-Karrieren grundsätzlich rechtfertigt und Widersprüche auflöst. Dieses Rollenideal spiegelt sich klischeehaft im Anforderungsprofil von Stellenausschreibungen für das Kaderpersonal. „Teil einer Erfolgsgeschichte zu werden“ setzt etwa folgende Eigenschaften voraus: hohe Eigenmotivation und vorbildliche Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen; analytisch-konzeptionellen Skill, Entscheidungsfreudigkeit, zielorientiertes, durchsetzungsstarkes Handeln und die Fähigkeit ein Team zu coachen gleichermassen wie Teamgeist, Fairness, Fingerspitzengefühl, Flexibilität, und absolute moralische Integrität.

Wer einschlägige Erfahrungen machte, wird das Recht auf einen grundsätzlichen Vorbehalt in Anspruch nehmen: Dass es Menschen gab und immer geben wird, welche ihren Wissensvorsprung und die Spielräume ihres Auftrags gewissenlos nutzen, um in den Genuss von Gratifikationen oder Beförderung zu gelangen oder ihre Macht zu erweitern, ist eine Tatsache, welche Kritik an hyper-perfektionistischen Erwartungen herausfordert. Der Geldwirtschaft wohnt eine mythischer Urwiderspruch inne, welcher die Gesellschaft periodisch in Wertkrisen hineinzieht. Sie haben einerseits etwas mit der Hybris oder der Anfälligkeit des Menschen zur Masslosigkeit zu tun, andererseits aber mit einer naturgemässen Anfälligkeit des Geldes, die Berechenbarkeit seines Wertes einzubüssen und Volkswirtschaften einen unvorhersehbaren Wertverlust erleiden zu lassen. Wir können die Konstellation des Mondes und der Planeten auf Jahrhunderte voraus exakt bestimmen, jedoch weder die Börsenwerte des nächsten Tages voraussagen noch aus der Volatilität von Börsenwerten, dem sogenannten „Angstbarometer“, sichere Aussagen über Anlagerisiken ableiten. Eine Aussage über den Hintergrund von Wirtschaftskrisen lässt sich allerdings aus der Erfahrung begründen: Durch Verlustangst und Gewinngier genauso wie durch Sorglosigkeit, Selbsttäuschung oder Unwissen determiniertes irrationales Verhalten kann dramatische Konsequenzen haben, in manchen Fällen ist allerdings auch kriminelle Energie im Spiel entscheidend.

„Am Mittwoch waren zwei ehemalige Hedge-Fondsmanager der Investmentbank Bear Stearns vom FBI verhaftet und wegen Betrugs angeklagt worden. Die Fondsmanager hatten in Anleihen investiert, die mit Hypotheken besichert waren. Ihnen wird vorgeworfen, Investoren über den Wert der Fondsanlagen getäuscht zu haben, welcher im Zuge der Hypothekenkrise gefallen war. Das Vorgehen der Behörden folgt auf eine anhaltende Immobilienkrise, die im vergangenen Jahr zu steigenden Ausfällen bei den Ratenzahlungen von Hypotheken sowie zu Zwangsversteigerungen geführt hatte. Im Zentrum der Krise stehen wenig kreditwürdige Hausbesitzer, die sogenannte Subprime-Hypotheken erhalten hatten. Zu den meistverbreiteten Arten von Hypotheken-Betrug gehören falsche Angaben zum Einkommen oder Vermögen, gefälschte Dokumente und überhöhte Schätzungen von Immobilienwerten. Banken hatten im vergangenen Jahr fast 53 000 Fälle von vermutetem Betrug gemeldet.“ (Frankfurter Allgemeine, 20.6.2008)

Der Zeitungsausschnitt enthält die fast modellhafte Beschreibung eines Vorgangs, welcher 2007 die Immobilienkrise auslöste und 2008 die Finanzkrise nach sich zog: Selbständige oder mit Lizenzen und Gratifikationen von Unternehmen ausgestattet Makler, Broker, Trader und Agenten betreiben Immobilienhandel, Finanzgeschäfte oder Vertragsabschlüsse für Versicherungen. Ihre Verfahren bewegen sich im aufgeheizten Klima eines  Wirtschaftsbooms an der Grenze der Legalität oder in einer juristischen Grauzone (unzureichende Information, unzureichende Überprüfung der Zahlungsfähigkeit von Kreditnehmern und übertriebene Schätzungen). Gewisse Praktiken von Geldakrobaten unter ihnen oder auch von Kreditschwindlern sind nachweisbar illegal (absichtliche Täuschung, falsche Angaben, gefälschte Dokumente). Sie arbeiten auf eigenen Gewinn an der Aushöhlung der Werte, bis die überhitzte Geldmaschine zusammenbricht und viele scheinbar sichere Werte mit sich reisst. Es ist merkwürdig, dass Handlungsbevollmächtigte von Finanzgesellschaften, in deren Fairness man Vertrauen setzen zu dürfen glaubte, mit dem Bedürfnis kleiner Leute nach der Privatheit und Sicherheit von Wohneigentum Geschäfte machen konnten, wie nie jemandem einfallen würde mit Häuten und Hüten Geschäfte zu machen.




    


Die Marketingmaschine von RED BULL oder Beihilfe zur Verwirklichung von Flugträumen



Fussball-Meisterschaften - an der Spitze World Cup und Champion League - sind mit ihrer enormen Infrastruktur unschlagbare Geldgeneratoren. Ihre Arenen sind Werbemagnete für ein Millionenpublikum. Was sie zusammen mit den Medien an Gewinn einfahren finanziert die Organisation eines Riesenunternehmens, seine Hierarchie und sein Humankapital, die Mannschaften, die Honorare und den Starkult, den Millionen-Handel mit Spielern und den Investitionsgewinn der Sponsoren. Der Sport insgesamt, sowohl der professionelle Wettkampf- oder Spitzensport als auch der Breitensport, ist heute das illustre Beispiel der Kommerzialisierung im grossen Stil. Er vereint idealistisch betrachtet in geradezu idealer Form das Wachstumsziel von Volkswirtschaften mit den Interessen der Volksgesundheit und Erziehung. Innerhalb des Sportbetriebs als Unternehmen hat sich allerdings ein grandioser Markt der „Käuflichkeiten“ im Sinn der Definition Sloterdijks entwickelt. Im Marktwert von Mannschaften und Stars verselbständigt sich das Geschäft. Ein Star erkauft sich Kult und Einkünfte, doch er lässt sich durch Geld zur Ware abstrahieren.








Neben den beruflich organisierten Wettkampf-Sportarten hat sich ein exklusiver Hochrisiko-Sport von professionellen Einzelkämpfern etabliert, eine akrobatische „Sonderdisziplin“, welche durch spektakuläre Aktionen und Parforce-Leistungen die weltweite Aufmerksamkeit der Medien in ihren Bann zieht und hohe Sponsoren- und Werbeeinkünfte erzielt. RED BULL, der Erzeuger und Vertreiber des bekannten Labels auf dem Markt der „Energy“-Getränke ist „eigentlich kein Getränkehersteller“ - die Firma lässt ihren Büchsen-Aufputscher in Lizenz abfüllen - „sondern eine Verkaufsmaschine“, wie „brand eins“ nach TA kommentiert. Rund 4 Milliarden Euro betrug der Umsatz von Red Bull 2011 - immerhin einen Zehntel des Umsatzes von COCA COLA, des unbestrittenen Weltmarktführers der Branche. Gemäss Angaben Mateschitz‘s, des Erfinders und Inhabers der Firma, machten die jährlichen Kosten des Marketings mit 1,3 Milliarden damals gut einen Drittel des Geschäftsumsatzes aus (TA, 17.10.2012). Durch den aussergewöhnlich hohen Einsatz und das ebenso abenteuerliche wie clevere Vermarkten von Extremsport-Events schnellt der Firmengewinn auf einsame Rekord-Limits hoch. Es kursieren in diesem Umfeld viele verrückte Geschichten. Eine davon sei zum Schluss in anekdotischer Kürze erzählt.

RED BULL sponsert nicht nur die Competitions der Strassenglider, unserer sympa-akrobatischen Bretterer, sondern auch jene der haarsträubenden Monsterwellen-Rider oder Motorsport-Events wie die prominenten Rundenschramm-Konzerte der Formel-I-Boliden und dann die Spektakel der Lüfte, die Über- und Untendurchflieger, die tollkühnen Sprungflieger und Fallspringer, die berühmten menschlichen Flugdrachen im märchenhaften Lauterbrunnental, dem schweizerischen Todes-Canyon, und endlich den mythischen, wenn auch keineswegs einzigartigen Supersprung aus der Stratosphäre des österreichischen Maschinenschlossers, Panzerfahrers und Fallschirmspringers Felix Baumgartner. Ausrüstung, technische Realisation und Sprung des astronautischen Ikarus kostete den Konzern nach seinen Angaben 50 Millionen Euro. Der „Werbewert“ als Medienspektakel über Fernsehen, Youtube und Printmedien übersteigt wohl um ein Vielfaches den Aufwand, die Einschaltungen liegen um Milliarden. Die finanzielle Ausweidung des Events durch Aufnahmen, welche das Firmenlogo gezielt im Fokus haben, ist für das Unternehmen lukrativ. Wenn Baumgartner unter den aus dem Kopf seiner Ballonkapsel ausgefahrenen Kameras abspringt, kräuseln sich fast vierzigtausend Meter tiefer die Wolkenfelder über der azurblauen Erdkugel.








Wir wissen nicht, für wie viele Millionen der glückhafte Ikarus seine Seele in den Pakt mit RED BULL um seine High-Tech-„Flügel“ gab, welche bei der Realisierung seines geschenkten Flugtraums unter dem Überschalldruck des Sturzes nicht zerstoben. Es ist anzunehmen, dass auch Mateschitz seine Seele von Anbeginn seiner Karriere in den Handel mit High-Swing-Risiken gab. RED BULL steigert den Trend kalkulierter Vermarktung spektakulärer Extremsport-Events und Rekorde zu einer bisher kaum erreichten „Hype“, wie der Trendausdruck des mitfiebernden Eventjournalismus lautet. Die Verführungsmacht des Geldes beweist in diesem Geschäft auch seine Schlagzeilen kreierende Wirkung. Mateschitz’s Konzern wurde in den USA wegen Täuschung der Öffentlichkeit verklagt, weil der nicht metaphorisch, sondern wörtlich ausgelegte Werbeslogan „RED BULL VERLEIHT FLÜGEL“ seine angepriesene Wirkung nicht erfülle und das Getränk aus der handlichen Büchse ausserdem als Aufputschmittel versagt habe. Die Anwälte der Firma konnten vor Gericht offenbar nicht beweisen, dass mit „RED BULL“, dem Subjekt des Slogans, nicht das „Energy“-Getränk, sondern das Sponsoring-Unternehmen zu verstehen ist. Der Konzern „hilft“ Extremsportlern und Abenteurern mit seinen Werbeaktionen „ihre Flugträume zu erfüllen“ - mit der durchschaubaren Formel legitimiert Mateschitz jedenfalls das exorbitante Werbeprojekt. Um eine drohende Massenklage zu verhindern, zog RED BULL einen Vergleich vor und strich sich eine 13-Millionen-Busse zugunsten eines Entschädigungsfonds ans Bein.

Eine magisch-mythische Ur-Macht der Verführung entfaltet sich im Medium Geld, wenn der Mensch seinen eigenen Körper und sein Leben ins Spiel gibt und damit alles auf  e i n e  Karte setzt. Wenn er zieht, nimmt er in Kauf, dass er die schwarze Todeskarte in den Fingern hält. „Aussergewöhnlichen Menschen helfen, ihre aussergewöhnlichen Ziele zu verwirklichen“, lautet die praktische Marketingdevise. Im Fall von Extremsport-Experimenten ist in solcher Hilfestellung das Todesrisiko auf zynische Weise einkalkuliert. Die Todesgefahr gibt für die Publikums-Öffentlichkeit den Kick. Das ist im Formel-I-Sport, beim Extremklettern, bei Skiabfahrten mit Sprüngen über Felswände oder Klippen-Todessprüngen der Fall. Das Perverse daran ist, dass mit dem Erfolg der verlockenden Prämie auch die Werbewirkung und die Vervielfachung des Einsatzes zugunsten der Organisatoren, selbst bei tödlichem Ausgang, in der Regel gesichert sind. Auch die Verwerter, gemeint sind vor allem die prominenten Medien, ziehen aus der gross aufgezogenen Aktion ihren Profit.

„Du musst voll fokussiert sein“, sagt einer der Action-Stars von RED BULL. Die Bemerkung ist mehrdeutig. Er meint wohl: unter Höchstspannung auf den Einsatz konzentriert sein. Die Konzentration und das Bewusstsein des Todesrisikos steigern den Adrenalinspiegel und die absolut mögliche Reaktionsbereitschaft der Sinne und des Körpers. Der Satz bedeutet aber auch: „Du musst im Fokus der medialen Öffentlichkeit sein.“ Die „Action“ zieht die simultane Aufmerksamkeit in Bann: die gespannte Fokussierung des „Helden“ auf den Akt und die seines Millionen-Publikums auf die Show. Unser Themenzitat, Sloterdijks „Geld ist Abstraktion in Aktion“, gewinnt unter diesem Aspekt eine besonders schillernde Bedeutung. Wenn wir unter „Aktion“ die spektakuläre „Action“ in der grossen Medien-Arena verstehen, dann zielt der Begriff „Abstraktion“ auf die ausschliessende Macht des Spektakulären: alles andere, was in der Welt zur gleichen Zeit geschieht, wird durch die Faszination eines alle Wahrnehmung absorbierenden „Super-Events“ augenblicklich vernichtet. Die „Action“ ist das Spektakel. Die Show steigert den Unternehmensgewinn. Wenn ökonomische Kriterien die Programmauswahl dominieren, gewinnt das spektakuläre Ereignis ein Übermass an Gewicht, welches ihm in seinem  Verhältnis zur Bedeutung oder dem Wert alles „Anderen“ nicht zukommt. Die Werbung und der Fokus der Medien schneidet es aus, spielt es hoch, rückt es mit allen zur Verfügung stehenden medientechnischen Mitteln ins Zentrum unseres Blickfelds und simplifiziert die Perspektive. Bezogen auf einen Fussballstar kreiert ein Sportreporter die Floskel, er stehe „im Zentrum der Emotionen“. Eine vibrierende Arena von hunderttausend Zuschauern (Barcelona) verschafft ihr die plastische Evidenz.





 

Vielleicht lässt sich der grundsätzlich formulierter Schluss ziehen: Je mehr die auf Gewinn orientierte Selektion der Medien - statistisch gesehen ihre Mehrzahl - mit reisserischen Themen das Interesse der Zuschauer auf sich lenken, desto stärker konditionieren sie ihre Wirklichkeitswahrnehmung. Die mediale Filterung der Wirklichkeit, die Schärfung der Sinne auf das Spektakuläre und ihre gleichzeitige Entschärfung für das Zusammenhängende schwächt das Vermögen eine komplexere Welt zu verstehen. Die medial vermittelte Wirklichkeit oder die sogenannte „virtuelle Zwischenwelt“ ist in der hochtechnisierten Gesellschaft umgreifender als je zuvor, wir sind von ihr gleichsam umhüllt. Der gängigen Ausdruck „Mediensulz“ assoziiert die plakative Vorstellung vom Schweben in einer medialen Sulzmasse. Ihre negative „Abstraktionsleistung“, ihre Relationen verzerrende, manchmal sinnverwirrende Wirkung und deren destruktive Folgen sind umso schwerer durchschaubar, je stärker die mediale Welt die Wahrnehmung beansprucht. Wir tragen Sorge, dass Kinder ihren aufregenden, oft effektvoll übersteigernden Inszenierungen nicht schutzlos ausgesetzt sind. Doch wir haben wohl unseren eigenen Widerstand, unseren eigenen Realitätssinn an ihr nicht ausreichend getestet. Indem die Medien den Horizont durch ihren gigantischen Fokus erweitern, erschaffen sie eine Realität aus zweiter Hand, ein Surrogat der Schöpfung.

Auch die Produktewerbung verfügt über das ganze ausgefeilte Arsenal medientechnischer Mittel. Ihre Zielsetzung ist es, ein Produkt und ein Unternehmen in Konkurrenz zu anderen Produkten und Herstellern in den Fokus der Öffentlichkeit zu dirigieren. Je grösser das verfügbare Kapital ist, desto effizienter wird sie ihre Spielräume nutzen können. Dasselbe gilt für die politische Werbung mit Bezug auf Parteien, Initiativen, Abstimmungen und Wahlen. Auf den für die Kontrolle des Wettbewerbs zuständigen Behörden des Rechtsstaats lastet eine Verantwortung, deren Ausübung, wo es um den Wahrheitsgehalt geht, mit unermesslichen Schwierigkeiten verbunden ist. Das erwähnte Beispiel der amerikanischen Rechtsprechung zum Slogan von RED BULL ist als Farce auf dem weiten Feld möglicher Verdrehungen und Missverständnisse zu verstehen. Wo Recht ist und wo Missbrauch beginnt ist an den fluktuierenden Grenzen des virtuellen Geschäfts oft genug selbst in Fällen nicht eindeutig zu bestimmen, welche die Menschenwürde eines Betroffenen oder die sachliche Korrektheit einer Information tangieren. Gegen den Vorwurf pedantischer Unduldsamkeit drängt sich die Feststellung auf: Wenn Toleranz und gesunder Menschenverstand durch finanzielle oder politische Interessen denunziert werden, was viel öfter vorkommt als wir glauben, dann tritt für das Rechtsempfinden erst recht der „worst case“ ein.







Das wundersam-mythische Vorspiel eines astronautischen Experiments reizt zum Hightech-Venture. Die Geschichte vom Stratosphärensprung ist allerdings mit dem Werbecoup von RED BULL nicht abgeschlossen.

Dass kaum zwei Jahre nach Baumgartners Superlativ ein einsamer Überflieger den Rekord des glücklichen Österreichers brach, hat kaum jemand in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Der Rekordbrecher, dem es wohl gar nicht um den Rekord ging, sprang nicht für eine berühmte Sponsor-Firma, obwohl er ein Manager von GOOGLE ist. Und er sprang nicht für alle Medien der Welt, die ein Spektakel daraus gemacht hätten, was bekanntlich neben „Show“ vor allem „Lärm“ bedeutet. Er betrieb seinen im Vergleich zu RED BULL weit geringeren Aufwand auf eigene Kosten und schloss den Pakt um den Thrill des Todesrisikos ganz mit sich selbst. Google, heisst es, habe sich bereit erklärt sein Projekt finanziell zu unterstützen, doch er habe abgelehnt, „worried that his jump would become a marketing event“. Alan Eustace organisierte die Vorbereitungen seines „wild, wild ride“, wie er das Wagnis beschreibt, selbständig. Der „risk-taker“ mit seiner Leidenschaft für Details, welche Zufälle nach technischem Ermessen ausschliesst, stürzte wie Ikarus, aber nicht in den Tod, sondern ins Leben zurück. (Zitate nach New York Times)

Der ausgesprochene Wille Alan Eustace’s, alles daran zu setzen, dass sein Rekordsprung nicht zum „Marketing Event“ verkommen solle, ruft Pieter Bruegels ungewöhnliche Interpretation des mythischen Dramas in seinem frühen Gemälde „Landschaft mit dem Sturz der Ikarus“ in Erinnerung:

Der Hochflug des genialen Erfinders Dädalus, des mythischen Urbilds der Flugtechnik, endet für seinen Sohn und Begleiter tragisch. Er überhört die Warnung des Vaters und nähert sich im Aufschwung gefährlich der Sonne. Helios versengt den Wachs der technischen Tüftelei, sodass die Federn der Flügel sich lösen und der Kopflose abstürzt. Den Augenblick seines Todes hält das Bild Bruegels fest, aber wie? Der überlieferte „Fall“ menschlicher Vermessenheit scheint unwichtig, keiner schaut hin, kein Zeuge im Bild nimmt das verschwindende Ereignis im unendlichen Raum der grossartigen Küstenlandschaft wahr. Die täglichen Verrichtungen nehmen die Protagonisten in Anspruch, der Alltag hat seine Ordnung und Musse. Der Ackermann verrichtet in Ruhe sein Tagwerk und der Schäfer steht gedankenverloren, treibt sinnierend, was er den Tag lang auf Weide und Trift  zu tun hat. Der Fischer ist blind für das lautlose Ereignis vor seiner Nase und lässt sich selbst durch das Auftauchen der imposanten Gallone nicht von seinem eigensinnigen Geschäft ablenken. Von der mit Navigation, Kommandos und Takelwerk beschäftigten Besatzung schaut wohl nicht ein einziger zufällig hin.







Hinweis: Eine ausführliche Besprechung des eindrücklichen Bildes ist im ersten Teil eines nächsten Blogposts vorgesehen.




Sloterdijks Fortschrittsanalyse: „Technokreditismus“ als Motor der sich eigengesetzlich fortzeugenden Entwicklung und die Metapher vom blinden Gleitflug der Wirtschaft



Die Erfüllung des Flugtraums ist die heroische Voraussetzung für die Möglichkeit des Absturzes. Leonardo da Vinci konstruiert in seinem Entwurf den Mechanismus eines Flügelpaars nicht nach dem Vorbild der Vögel, sondern der Fledermaus. Sein technisches System zur Übertragung der Muskelkraft ist genial, aber die Kraft reicht zum Transport nicht aus. Die technische Voraussetzung erfüllt vierhundert Jahre später die Mechanisierung. Die Substitution der menschlichen Arbeitskraft durch die maschinelle verändert die Konstruktion, welche sich an der Natur orientierte, fundamental. Ein elektro-Chemischer Prozess erzeugt die Antriebskraft. Das durch den Motor und eine ausgefeilte Art von mechanischen Luftturbinen angetriebene Flug-Vehikel verselbständigt sich. Die Technik tritt dem Menschen als eine fremde Macht gegenüber, über die er seine Herrschaft behaupten muss.









Die Sphäre der technischen Evolution erweitert sich durch die sogenannte „Eroberung des Luftraums“. Es ist kennzeichnend, dass die Geschichte der Technik die grossen Akte des Fortschritts durch Rückgriff auf den militärischen Wortschatz zelebriert. In den letzten Jahrzehnten entwickelt die Luftfahrtindustrie Grossraum-Flugzeuge. Die Transportkapazität  wächst, das Netz der Flugrouten umspannt den Globus immer dichter, Fliegen wird laufend sicherer und billiger. Seit  dem Evolutionssprung vor etwas mehr als hundert Jahren ist der Flug zu jedem Fernziel selbstverständlich geworden. Die Entwicklung der zivilen und militärischen Mobilität explodiert in der Atmosphäre als eine Manifestation des sich selbst generierenden, scheinbar grenzenlosen technischen Fortschritts, seines Wachstums in die dritte Dimension. Seit einem halben Jahrhundert zielt er bereits weit über den erdnahen Raum hinaus. Gleichzeitig erzeugen die elektronischen Informations-Medien den weltvernetzenden Raum vierter Dimension.







Während des Kalten Kriegs treibt die Konkurrenz zweier militärisch-industrieller Komplexe und ihrer ideologisch divergierenden Systeme den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die in ihrem Resultat konvergierende wirtschaftliche Entwicklung an: Kapitalismus versus Sozialismus, kreditgelenkte Marktwirtschaft versus staatsgelenkte Planwirtschaft. Zweck der Entwicklung ist die Vermehrung des allgemeinen Wohlstands und der militärischen Schlagkraft, Ziel die weltgeschichtliche Entscheidung über das gesellschaftliche System und die politische Dominanz.

Peter Sloterdijk untersucht in seinem 2014 publizierten Werk „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ die Logik des Ineinandergreifens von Geldwirtschaft und technisch-industriellen Entwicklung. Mit Blick auf das 19.Jahrhundert und die industrielle Revolution stellt er fest: „Die Allianz der beiden Selbstverstärkungssysteme aus kreditbasiert-zinsgetriebener Wirtschaft und innovationsgetriebenem Maschinenbau resultierte in dem bis heute mächtigsten Komplex halbblind vorwärtsstrebender Tendenzen, die man noch immer unter dem ungeschickten Terminus ‚Kapitalismus‘ zusammenfasst, obschon es, wäre es um einen wahren Namen gegangen, von Anfang an Techno-Kreditismus hätte heissen müssen.“ Sloterdijk begründet den Terminus: Die komplexe „Dynamik des Prozesses“, beschleunigt durch „systemeigene Impulse“ wie Kapital-Investition, Forschung und unternehmerische Kreativität, leitete eine Entwicklung ein, welche, wie Joseph Schumpeter 1912 formuliert, „immer weitere Entwicklung erzeugt“.

Nach den zwei Weltkriegen und der Weltwirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit wurden Überlegungen und Entscheidungen über Mittel fällig, mit denen der „crash der Expansionskreisläufe“ in Zukunft verhindert und die wirtschaftliche Entwicklung stabilisiert werden konnte. Es stellte sich die Glaubensfrage. In einer starken, durch Goldreserven gestützen Währung wurde in Bretton-Woods die Gottheit der Ökonomie erkannt. Doch als der Glaube an die finanzwirtschaftliche Alchemie mit dem Goldpreis „in die inflationäre Drift“ geriet, setzte die Wirtschaftspolitik auf das „Universalheilmittel“ Liquidität als „jederzeit praktikable Alternative“: „Sie besteht in der Umwandlung der Zusammenbruchstendenz in den staatsschuldengestützten Gleitflug“. Die Notenbanken werden beauftragt, Engpässe bei drohenden Wertkrisen „mit Hilfe von Liquiditätsvermehrungen auszugleichen“, worunter nichts anderes zu verstehen ist als die „Geldschöpfung ex nihilo“. „Der Einsatz zusätzlicher Ausgaben durch konjunkturpolitisch engagierte Regierungen“ treibt den Kreislauf „um den Preis öffentlicher Schulden“ immer weiter an. Diese Turbo-Politik macht „aus der Überschuldung der Staatshaushalte eine neue Normalität“. Die Konsequenz ist eine „permanente, wenn auch meist camouflierte Inflation“. Sie ist der Preis, den die Öffentlichkeit für das verordnete „permanente unbestimmte Vorwärts“ bezahlt. „Was früher Haushaltpolitik hiess, läuft heute als ‚Schuldenumwälzanlage‘“- der Ausdruck stammt von Gabor Steingart. Wenn Josef Stieglitz vom „freien Fall“ des Systems spricht, dann ist dieser Zustand irrtümlich einem „Versagen der Märkte“ angelastet. Sloterdijk vermutet unter Verweis auf Steingarts Argumentation, es handle sich nicht um einen „freien“ sondern einen „politisch gewollten, vielleicht sogar kalkulierten Fall“. Er schliesst das Kapitel „Lecons d’histoire - Bretton Wood/Washington“ nach einem Blick auf die in irrationale Dimensionen gesteigerten öffentlichen und privaten Schulden mit dem Vorschlag zu einer der Situation angemessenen neuen Metaphorik wie folgt:

„Es scheint inzwischen angemessen, von den nautischen zu aeronautischen Bildern überzugehen: von einer Navigation ohne Docks zu einer Luftfahrt ohne Landebahnen. Mehr und mehr gleicht der ‚Weltlauf‘, optimistisch gedeutet, dem kontrollierten Sturz nach vorn, der unter Piloten Fliegen heisst. Die paradoxen Flüge der Gegenwart zeichnen sich durch das seltsame Merkmal aus, dass in ihnen der Gedanke an Landung verboten ist.“








Zum Schluss eine kurze Reflexion des Eingangszitats aus Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ unter dem Aspekt Gerechtigkeit: Geld macht alle Güter gleich, aber die „Käuflichkeit von allem und jedem… löst einen allmählichen, doch stets sich vertiefenden Prozess der Korruption aus“ (Sloterdijk). Durch diesen reaktiven Prozess macht Geld auch ungleich: Es schafft soziale Ungleichheit und ein Wertsystem, welches in einem eigentümlichen und nur schwer durchschaubaren Ausmass bestimmt, was gerecht ist. Schlecht und recht, sach-, fach-, kunst- und marktgerecht - der Preis legt eine Rangordnung der Produkte fest. "Der Markt hat immer Recht." Werbung und Preis erzeugen und regulieren die Nachfrage. Wird die kommerzielle Werbung je "endogene" oder "systemeigene Impulse" erzeugen, welche die öffentliche Obsession zum Diskurs über die Frage provozieren, ob die profitabelsten Leitprodukte und der unermessliche Strom an wechselnden Produkten des Markts auch umwelt-, menschen- und zukunftsgerecht sind?

Der vorliegende Versuch kann zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Werbung als Mobil des Konsums und Folie eines hedonistischen Daseinskonzepts anregen. Frage: Verzicht und radikale Abkehr vom Komfort regulierten Wachstums? Nein! Aber Nachdenken über die Bedingungen, unter welchen besonders die Vorspiegelungen der Werbung einen selbstverständlichen Anspruch darauf zu begründen scheinen.










Antrag zu einer Sonderpreisverleihung



Gleitend fliegen, den Sturz nach vorn elegant auffangen im Tanz, schwerelos gegroundet bleiben im Flug…: Eine solche Performance des Denkens verdient die Vergabe eines Karlsruher "Sonderpreises der Streetboard World-Championship für Philosophie" an Peter Sloterdijk. 

Der Antrag richtet sich an die Organisation sowie die Werbe-Sponsoren der Skateboard-Wettkämpfe in Karlsruhe, Peter Sloterdijk, Philosoph und Rektor in Karlsruhe, den ersten Preis in einer zu schaffenden Sonderkategorie zu verleihen. Diese Kategorie soll zukunftsweisend und sinnstiftend sein und unter einem werbewirksamen Signet bekannt gemacht werden. Die Ausführung ist als Anregung gedacht. 


  

                                                              
                                     










Statistik


Werbung:  In Deutschland, dem „werbestärksten Land“ innerhalb Europas, betragen die jährlichen Werbeinvestitionen mindestens 40 Mrd. Euro. Sie gelten als „der stärkste Beleg für den Wert der kommerziellen Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft“. Der Anteil der kommerziellen Werbung am Bruttoinlandsprodukt beträgt rund 1,4 Prozent.


Kultur:  Die Kulturausgaben der öffentlichen Hand lagen 2009 in Deutschland bei 9,13 Milliarden Euro. Insgesamt stellten die öffentlichen Haushalte für den Kulturbereich 1,64 Prozent ihres Gesamtetats zur Verfügung (111,48 Euro je Einwohner). Die öffentlichen Kulturausgaben entsprachen 2009 einem Anteil von 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Kulturbudget einbezogen sind Rundfunkanstalten und Fernsehen.



Ergänzende Angaben: Das öffentliche Budget für Bildung und Erziehung, Forschung und Wissenschaft in Deutschland liegt 2013 bei einem Allzeithoch von 235,4 Milliarden Euro, das entspricht 9,4 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Zu beachten: Kunsthochschulen und Volkshochschulen werden aus dem Kulturbudget finanziert.