Montag, 2. Juli 2012

APOKALYPSE NOW im Wohnzimmer









TV-Programmwerbung und die Schule des Verdrängens



Die Erde stürzt als wabernder Feuerball durch den Raum. Am Bildschirm in unserem Wohnzimmer. Gott sei Dank!

Im Heimkino-Programm läuft Mittwochs  APOKALYPSE  NOW .  Nicht Francis Ford Coppolas berühmtes Vietnamkriegs-Drama aus einer Zeit, als das Wort Heimkino noch nicht verstaubt war und im echten Kino gute Kriegsfilme liefen. Sondern - na was denn sonst? Die Reality-Vision einer kosmischen Apokapypse?

Wird unser blauer Planet zum Irrstern, zum Amok laufenden Hells-Angel?

Wir wissen ja schon (nicht nur aus dem letzten Buch der Bibel), dass uns etwas Verrücktes heimsuchen kann. Die endgültige Heimsuchung kann uns treffen, wir wissen und ahnen es. Unvorhersehbar oder weil wir uns nicht dagegen vorsahen. Jederzeit und überall. Natürlich glauben wir nicht, dass sie gerade uns trifft.



MEHR WISSEN. Das Magazin. Umstritten, ultimativ. JETZT! Die Animation. Auf Wunsch mit vierfacher Full-HD-Auflösung, LED-Hinterleuchtung oder 3D-Technik in der neuen Dimension von Plastizität und Schärfe. Scharf wie Sharp. N-tv bringt’s! Let’s go Sky!


Ein Spiel zum Thema: In der Audio-Video-Welt haben wir unumschränkte Programm-Freiheit. Wir wollen mehr wissen. QUIZ HAT QUOTE! Das Quiz stellt uns ein Thema zur Wahl. Beispiel (wir machen uns gefasst):

Welches Szenario der Apokalypse ist das nächste? Welches das schnellste? Welches das totsicherste?


Mit  MULTIPLE  CHOICE  macht die kollektive Kniffelei Spass. Toll, wir machen mit. Wir testen uns, schärfen unser Profil!

Antwort 1:  Die nächste astronomische Bombe ist unterwegs.

Antwort 2: Die Sonne hat einen Begleitstern, Lichtjahre entfernt. Der hebelt die Erde mit seiner Schwerkraft aus.

Antwort 3:  Wir begehen den ökologischen Selbstmord.

Antwort 4:  Wir vernichten uns militärisch.


GAME.  Wir schalten das Denken ein. Wir lernen, indem wir denken:

Der vagierende Trumm trifft den blauen Planeten am tödlichsten. Wir ersticken im Staub und erfrieren. Die Schwerkraft der Parallelsonne wirft uns aus der Bahn, knackt die Kruste. Es wird heiss und geht schnell. Die unumkehrbare Zerstörung des heimischen Biotops infolge Raubbau und chemischer Vergiftung dauert länger, hat aber schon begonnen. Den finalen Atomkrieg überleben nur die Dümmsten im Bunker.


Die Supertreffer blinken. Der Joker winkt. Das Publikum applaudiert. Wir leben nicht hinter dem Mond, wo die Kälber schwarz sind. Wir lernen, denn Wissen macht Spass und bringt Quoten. Wir profilieren uns. Klug ist, wer Fragen zu stellen weiss.



Doch wie lautet schon die Frage?

Wozu nur mehr wissen, wenn wir unser Wissen verkehrt umsetzen. Wenn die Erde schon brennt, weil wir mehr als genug wissen, jedoch läppisch wenig tun oder unterlassen, was das voraussehbare Schicksal noch verhindert. Neuerdings wieder in Rio. Trotz dem allerletzten Bericht des Club of Rome. Oder privat, daheim. Das mit dem Virtuality-Empfänger ausgestattete Wohnzimmer ist ein idealer Schutzraum gegen die Konsequenzen. Denn niemand verpflichtet uns, sie auch zu ziehen. Wir sehen alles. Plastisch, hochauflöslich. Spannend! Aber es tut nicht weh.

FIREBALL, der Film! Der Reality-Held aus der Retorte des Senders schlägt die Konkurrenz aus dem Feld. Wenn wir einschalten, dann stehen wir auf der rechten Seite. Darauf kommt es an. Das pralle Programm wird es schon richten. Der Bildschirm ist unser Rettungsschirm gegen einen verlorenen Abend. Wenn uns die Sendung im Glauben bestärkt, unsere Ängste hätten einen Grund. Oder wir hätten Grund genug uns zu beklagen, dass es uns schlecht geht und die Dinge auch ohne uns schief laufen. Dann ja, dann hat das Programm unsere durch knallige Werbung gesteigerte Erwartung erfüllt. Es hat uns in unseren Zweifeln bestätigt, unsere krisenerschütterte Seele für den täglichen Stress durch Spannung belohnt und unsere Neugier gestillt.

An welchen Psychosen leidet die Gesellschaft, wenn bald auch seriöse Medienunternehmen auf paranoid verzerrende Projektionen zurückgreifen müssen, um sich auf dem übersättigten Markt den Fokus zu verschaffen? Film wie Buch. Die Nachfrage schwindet. Auch das Buch scheint sich den Absatz bald nur noch sichern zu können, wenn seine Aufmachung schrill, wenn seine Verpackung so sexy ist wie sein Inhalt.

Zum Glück gibt es das Programm. Könnten wir ohne in unseren Wohnzimmern noch leben? Und zum Glück gibt es die Werbung. Auf welcher Schiene bliebe das Programm ohne Werbung? Gott schütze uns vor solcher Heimsuchung.