Freitag, 9. Dezember 2011

Die Bank und die junge Schöne im Kokon


                                     
 

                                                              Bankwerbung mit Fokus auf die Occupy-Bewegung?






Diskrete Lebensberatung


„Neue Lebensabschnitte beginnen: Wir sind an Ihrer Seite“, lautet der Slogan der Zürcher Bank mit dem blauen Pfeilsignet. „Die nahe Bank“ reicht dem Kunden ihre Hand.

Sie empfiehlt ihren Beraterservice mit Grund. Der Binnenverkehr rauscht an der Filiale vorbei durch die City. Der Blick durch die stilvollen Parterrefenster der fest verankerten Institution bestätigt: Alles ist im Fluss. Doch die Scheiben dämmen den Lärm. In der Stille des Bank-Foyers fühlt sich der Kunde aufgehoben. „Nichts im Leben ist so konstant wie die Veränderung. Schön jemanden zu haben, auf den man immer zählen kann“, versichert die klein gedruckte Fusszeile der Kampagne. Der sinnstiftende Aphorismus flösst Vertrauen ein.

Die Beraterin im Bild hat das schmiegsame Polster der Sitzbank an der Fensterleibung hochgezogen. Entspannt legt sie den rechten Arm auf die so geschaffene Lehne. Während sie in ihrer Latte Macchiato rührt, wirft sie einen aufmunternd-mokanten Blick auf die Teenagerin. Diese nimmt gerade mit einer unglaublich komplizierten Hockverrenkung auf der Fensterbank gegenüber Platz.

Wie geht das zu? Den rechten Fuss stellt sie auf die Sitzkante hoch und langt zugleich mit dem gestreckten Arm am Knie vorbei, um die Kaffeetasse auf dem sprerrigen Tisch heranzuziehen. Dabei rutschen Ärmel und Taille ihres oliven Merino-Jäckchens hoch, ebenso die Stösse ihrer pinkfarbenen Hose. Überlang aufgeschossen scheint sie ihren Kleidern fast um ein Jahr entwachsen.

Das Outfit der jungen Dame ist weder pop noch brav. Sie trägt eher Homewear als Streetwear, etwas schobel, ziemlich abgetragen. Ihre verbleichten Velour-Pants sind kein bisschen trendy. Sie wirkt etwas gestresst und verklemmt. Vielleicht demonstriert sie die heimliche Obstination, sich nicht zu früh als erwachsen profilieren zu wollen. Ihre gar nicht hipe Schultertasche mit dem ganzen Schulmuff dürfte sie am Vorabend unters Bett geschmissen haben. Heute liegt sie verloren auf der Fensterbank im Kaffe- und Kuschelwinkel des ehrwürdigen Foyers.

Vielleicht kann man es auch anders sehen: Ihr lockeres Outfit ist durchaus im Trend. Ihre Sitzhaltung und Miene wirken snobbish, verwöhnt und desinteressiert. So betrachtet sitzt sie jedenfalls auf eine saloppe Weise in Halbhocke. Oder wie auf dem behaglichen Sofa vor dem Fernseher stinknormal  - was liegt denn an der Haltung? So sicher kann man sich da ja nicht sein. 

Zwar kommt die Studentin nicht im adretten College-Stil daher und trägt auch sonst keinen besonders edeln Zwirn. Trotzdem suggeriert das Bild keinen triftigen Grund gegen die Annahme, dass sie aus gutem Haus stamme und das Institut die Haus- und Vertrauensbank ihrer Familie sei. Was will die Inszenierung? Sie soll eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, soll wohl kommunizieren, dass sich die junge Kundin in der heimischen Bank wie zuhause fühlen darf. Es liegt nahe zu vermuten, dass die Bank profitabel das Vermögen ihrer Eltern verwaltet. Sie teilt wohl ihre Pläne und Sorgen mit professioneller Diskretion. Auch die um die Zukunft ihrer Kinder.

So einfühlsam finanziell abgepolsterte Zuwendung, wie sie das Töchterchen in Verhältnissen erfährt, welche man mit Blick auf globale Fluktuationen als situiert bezeichnen darf, erläutert der zitierte Aphorismus anschaulich genug. Die Bank spielt mit ihm und dem Bild so diskret wie treffend auf ihre nicht ganz interesselose Rolle als Beraterin an, welche sie unbedingt als „private“ sprich „praivit“ versteht. Gegenüber der Teenagerin spielt sie die freundschaftlich-mütterliche Rolle. Finanzberatung ist in ihrem Fall als Lebenshilfe angesagt, weil sie - der Schluss sei gestattet - im Frühling mit dem Hochschulstudium einen neuen Lebensabschnitt antritt. Die Werbefirma inszeniert den Auftrag im Bild dieser Kampagne gekonnt.

Die Bank ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Seriöse persönliche Beratung ist umso dringlicher, als die Turbulenzen im globalen Verkehrsfluss der Werte selbst die als unverrückbar geltenden Konstanten der Finanzwelt erfasst haben und inzwischen viel Vertrauen zerbrach.



Not so fun time – die Zeiten sind nicht so lustvoll


Die aktuelle Krise ist nachhaltig. Als Kreaturen der Modewerbung sind die körnig fotografierten Outcasts, die melancholischen oder zornigen Rebellen der Suburbs zwar nicht erst eine Erfindung der Krise, aber ein cleverer Griff (manche würden sagen: ein attraktiver Bluff) zur Vermarktung des Label-Glams in ihren munteren Wellenhochs. In der Mode dieses Herbsts ist übrigens der Retro-Glam des Krisenjahrzehnts von 1930 top.

Welche Rolle spielt aber, gerade im Blickfang der Bankwerbung, die hübsche blasse, etwas verkrampft wirkende Tristesse?

Wir beamen die Szene aus der Kuschelecke des Bank-Foyers in ein besseres Zürcher Appartement und verwandeln die Bankberaterin in die Mutter. Das geht ohne Retuschen locker vonstatten. Beim Umzug ist nicht einmal die uniformblaue Bluse zu tauschen! Einzig der blaue Rahmen des Pfeilsignets um die Polsterkante ist zu löschen. Die Tochter - diese Rolle spielt sie nun ohne dass sich ihrer Erscheinung um eine Nuance verändert - ist im Wohnzimmer in einen intimen Dialog mit der Mama vertieft. Wir hören mit und finden heraus, was unentfaltet in ihr steckt:
 

Der kollegiale Mutterblick scheint ein Geständnis zu erwarten, während Haltung und Ausdruck der Tochter den Zwiespalt zwischen Abwehr und Bedürfnis nach Rat signalisieren.


Mutter (M):  Marc organisiert also diese Demo. Und die wochenlangen Sit-ins vor der UBS. Und du machst da mit?

Tochter (T):  Klar. Ich schwänze dafür keine einzige Unterrichtsstunde. Unsere Ablösung ist gut organisiert.


M: Aber abends bist du auf dem Paradeplatz. Auch etwa nachts und an den Wochenenden? Kannst du dir das leisten?

T:  Mein Schnitt ist nicht so toll. Aber die Sache ist wichtig. Jetzt! Ausserdem hilft mir Marc jede freie Minute.

M:  Und wie du dann schläfst? Bist du dir im Klaren, worauf du dich einlässt? Doch nicht etwa weil Marc die Sache so wichtig ist. Juste maintenant, Jaqueline! Jetzt kommt die Maturarbeit. Im Frühling die Prüfung. Willst du die Schule schmeissen? Deine Karriere aufs Spiel setzen?

T:  Mama, du willst ja nur das Beste für mich und - dass ich das erkenne. Tu ich ja! Doch - schliesslich muss ich selber herausfinden was ich will. Das muss ich doch lernen: Präferenzen setzen, dem Druck gewachsen sein. Und - mich entscheiden, wenn ich mehr als bloss verknallt bin.

M:  Liebst du Marc?

T:  Ja.

M:  Er ist dein Lover. Vielleicht überforderst du dich. Aus Liebe.

T:  Mama, kannst du wollen, dass ich mich schuldig fühle? Ist es „das Beste“, das du für mich willst?

M:  Das verstehe ich nicht. Von Schuldgefühlen ist doch nicht die Rede. Es geht um die Sache. Um deine Zukunft.

T:  Wenn ich hingehe, an die Demos, wenn ich die Sit-ins durchhalten will, ob aus Überzeugung oder weil ich Marc liebe, auch darum liebe, weil er etwas tut - beides gilt, ich schwör’s! - muss ich mich dann schuldig fühlen? 

M:  Wieso?

T:  Wenn ich deine Vernunftgründe ausschlage, meine Karriere aufs Spiel setze, wie du sagst, dann verrate ich meine Liebe zu dir, deine Sorge um mich!

M:  Hast du das gemeint, gestern Abend, mit dem komischen Satz von Liebe und Schuld?

T:  Nein, ich habe ihn immer allgemein verstanden. Bezogen auf die Überschuldung und die Verantwortung der Grossbanken.

M:  Was hat denn das Geld mit der Liebe zu tun?

T: Weißt du, der Satz sagt ja etwas aus über das System. Aber jetzt spüre ich deutlich, dass er das Ganze meint, also unsere Beziehung einschliesst - dich und mich. Auch Papa.

M:  Wie? Erklär mir das!

T:  Ihr wollt, dass ich nach der Matur studiere. Papa meint, Jus sei das Beste für mich. Du kannst dir auch Kunstgeschichte denken.

M:  Ja, das kann ich, weil ich spüre, dass du mehr Sinn für das Schöne als für Ordnung hast.

T:  Für mein Studium wollt ihr mir ein Konto einrichten, über das ich frei verfügen kann. Und ihr schlagt vor, dass ich mich bei der Bank zur Beratung der Studienfinanzierung anmelde.

M:  Das ist nur grosszügig. Kannst du das nicht wollen?

T:  Doch, aber ihr beide wollt, dass ich klassenbewusst einsteige, dass ich meine Vorteile wahrnehme und die Bildungskarriere mache. Dass ich statusgemäss verdiene und mich folgerichtig für den Komfort und die Sicherheit, welche der gesellschaftliche Nimbus mir aufdrängt, verschulde. Das ist die bisher anerkannte Konsequenz. Die Normaltät. Schulden halten die Wirtschaft im Fluss. Verstehst du?

M:  Das ist doch verrückt. Du hast doch deinen freien Willen. Du entscheidest über den Standart, den du brauchst!

T:  Genau. So ist es eben. Ich steige freiwillig ein. Aber eure Zuwendung verwandelt sich in Schuld. Sie sichert mir den beruflichen Status, der mich dem System verpflichtet. Graeber beschreibt, wie Gefühle sich in unpersönliche Zahlen verkehren, wie Zahlen Gewinn und Wachstum generieren und zugleich persönliche Verantwortung austilgen. Wie Geld Menschen in kalkulierte Abhängigkeit versetzt und am Ende entmündigt. Weil das, was daraus wird, unserer Kontrolle entwächst und die Grundlagen menschlicher Verhältnisse zerstört.

M:  Der amerikanische Guru. Ich habe seinen Satz vergessen, weil er abstrus ist!

T:  Das Resultat ist abstrus. Es ist die Krise. Graebers Satz erfasst ihren Kern: „Dieses System kann nur funktionieren, indem es ständig Liebe in Schulden verwandelt.“

M:  Dann funktioniert es ja eben nicht. Das hängt doch nicht vom System, sondern von uns ab. Wie wir mit unseren Gefühlen umgehen. Und was wir mit dem Geld machen.

T.  Du meinst, das lasse sich so sauber trennen. Das ist vielleicht eine Täuschung. Das System ist übermächtig. Geld macht darin uns verfügbar, nicht umgekehrt.

M:  Noch einmal deutlich: Es kommt doch darauf an, was wir mit dem Geld machen! Du, ich. Das ist Sache der Überzeugung.

T:  Weißt du, das sagen die Top-Manager, wenn sie auf ihre Millionen-Einkommen angesprochen werden. Das Kapital leiht ihnen die Freiheit, zu realisieren was sie wollen. Kapital ist Macht. Und es nimmt von selbst zu. Denn es bläst sich auf. Das ist seine Eigenschaft in der Welt der komplexen Konstrukte.

M:  Auf  d i c h  kommt es an, nicht? Auf jeden Einzelnen. Ob er mit dem Geld verantwortlich umgeht. Und auf die Institutionen, welche sich um das Gleichgewicht kümmern. Du hast doch in der Betriebswirtschaftstheorie gelernt, was „Bilanz“ bedeutet!

T:  Ja.  I c h  bekomme leicht Kredit. Schon mit eurer Referenz. Doch jene, welche in die Schuldenfalle geraten sind, es sind viele, ihre Zahl nimmt zu. Wofür tragen  s i e  Verantwortung, wenn sie ihre Schuld abzahlen - und das ewig, weil sich auch die Schuld vermehrt? Und womit zahlen sie, wenn sie nichts mehr haben?

M:  Jaqueline, Kredit hält die Wirtschaft in Gang und das kommt allen zugut, denn es schafft Arbeit und Wohlstand. Und wiederum Vertrauen - die Voraussetzung des Geschäfts.

T:  Das ist doch die Binsenwahrheit, Mama. Sag mir, wie viel Freiheit bleibt für jene übrig, die nie, gar nie eine Chance haben, Kredit zu kriegen? Die Kreditunwürdigen! Wie wohnen die? Wer löst ihre Fussfessel und das Versprechen ein, das für sie noch nicht einmal ausgesprochen wurde?

M:  Wie stellst du dir eine Gesellschaft vor, in welcher jedem jede beliebige Freiheit zusteht?

T: Ich denke nach. Nicht beliebig! Als eine Demokratie, überschaubar und auf der Basis des vernünftigen Konsenses. Wir versuchen diese im Camp zu praktizieren. Ich weiss noch nicht, wie ich mich entscheiden werde, Mama. Gerade deshalb muss ich aber da hin. Ich muss die Herausforderung bestehen. Wir sind das Versprechen. Es geht um Gerechtigkeit. Und um die Wahrheit, für die es sich einzustehen lohnt … Doch eines ist für mich sicher: Wenn die Ordnungskräfte (ich sage nicht: die Bullen!) mit Gewalt vorgehen; wenn sie uns mit Pfefferspray blenden, dann stärkt das unsere Überzeugung, dass etwas falsch ist. Dann ist das Recht auf unserer Seite.


                                                                            Complex structures?



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Nespresso, what else? - What else?


Why did they not create controls so that money couldn't just be created with reckless abandon by those in power ... They've created overarching institutions like the IMF, to protect creditors. (David Graeber, Interview ZNet)