Dienstag, 28. Juni 2011

DEUTSCHLAND HAT EIN NEUES TEAM







Wäre Werbung ein Thema, dann wüsste ich zum ganzseitigen Inserat einer „neuen Bank für Deutschland“ einen Titel: „Parteiaufmarsch im Land des Lächelns“.

Aber dem ist nicht so. Niemand schreibt je einen Leserbrief über Werbung.

Dabei sind ihre Sujets so schön. So schön vielsagend, so ausgedacht, wie eben dieses über die Rasenfläche von etwa zwanzig Fussballfeldern hin digital multiplizierte Lächeln auf der SPIEGEL-Rückseite Nr.27 vom 5. 7. 2010.

Stahlblauer Himmel, schmelzender Skyline-Horizont, darunter – vom Abend- oder Morgenlicht nicht nur rundum, sondern gleichsam von innen heraus erleuchtet – steht da ein Grosseinheit adrett gekleideter Damen und Herren in Dienstleistungsbereitschaft. Numerisch eine solide Division. Aber waffenlos. Ihre Geheimwaffe scheint das verschworene, entwaffnende, aufgeklärt-sympathische, dieses entspannt auf den Betrachter gerichtete multiple Lächeln.

Etwa fünfzehn ihrer Elitelegionäre sind, Aug und Auge mit dem Betrachter, an vorderster Front identifizierbar. Oder sie wären es, hätten sie eine reale Identität. Die übrigen entschwinden in der unzählbaren Ansammlung von Köpfen unter dem grellen, diffundierenden Licht.

Alle (auch die Damen) tragen, soweit sichtbar, uniforme graue Anzüge. Die Damen haben offene weisse, die Herren zumindest dezent hellgraue Kragen mit Krawatte. Am Horizont dominieren strahlendes Hellgrün und Silbergrau. Die Parklandschaft atmet. Chlorophyll!

Im Stahlblau über allem schwebt als sinngebender Blickfang der Schriftbalken:

                          
                           „ DEUTSCHLAND  HAT  EIN  NEUES  T E A M. “


Megaformat zoomt die Hauptvokabel  T E A M  knapp über Skyline und Köpfen bedrohlich nahe mitten ins Blickfeld.

Dass sich da kein neues Fussballteam und auch keine neue Regierungsmannschaft vorstellt, ist evident. Die Werbe-Ingenieure haben das  fette A  im Wort sinnig durch das Signet der Bank ersetzt: die allbekannte goldene Endlosschlaufe. Die neu zusammengeschweisste Belegschaft unter dem goldenen Signet in der Mitte wirbt um das Vertrauen der Investoren in die Institution.

Der Tauschtrick wäre an sich noch nicht fast genial. Der von ihm tausendfach entgegen-lächelnden Funktionären umworbene Betrachter soll allerdings spüren (falls er nicht so raffiniert ist, es zu merken): die Endlosschlaufe ersetzt eigentlich nicht bloss das fette A, sondern die Sonne. Ob dem supponierten Zeugen (dem Erwählten!) solche Vision am Morgen, Mittag oder Abend zuteil wird, ist gleichgültig. Ihm schwindelt so oder so. Denn wahrhaftig, er steht als werbemedial Ergriffener quasi im zeitentbundenen Licht der Auferstehungssonne und ihm, ja in der Tat nur ihm persönlich, lächeln die tausend Protago-nisten zu.

Wirbt der SPIEGEL neuerdings für die moralische Aufrüstung? Für Scientology? Hat der Leser in der SPIEGEL-Verkehrung  nicht die Titelseite eines Sekten-Traktats vor sich? Ist, was er in der Hand hält, überhaupt der  SPIEGEL? Oder ist die Welt verkehrt?

Ach, was! möchte er sich schon halb beruhigt einbilden: Wofür sonst wirbt der SPIEGEL, wenn nicht für banalen Commerz. Wie alle! Ohne Werbung gäbe es ja keine Aufklärung.  Wo bliebe  d i e s e  heute schon stecken?

Aber die Einbildung glückt ihm nicht. Es widerfährt ihm, dass im schmelzenden Lichtglanz über der Frankfurter Skyline – wie duch ein Wunder von Geistehand hingeschrieben – drei Worte erscheinen. Zum Beispiel:


                          STAHLHELM – STAHLGEWITTER - STAHLWOLLE


Alles klar! Aber  STAHLWOLLE? Wird er sich fragen. Nun ja, der Blankfeger, geht ihm durch den Kopf.

Doch wie soll ihn der Fingerzeig zur Bedeutung ersatzreligiöser Erleuchtung im Zeitalter der weltumspannende Finanzströme lenkenden Glasfasertechnologie heute – gerade heute – beruhigen?

Die drei Worte entschwinden. Es ist Abend geworden und er erbaut sich am Licht der untergehenden Sonne.

Irgendwo hinter dem leuchtenden Horizont, aber weit entfernt, sickert Erdöl in einen ölverpesteten Golf.  Liegen die flimmernden Gebirge des Hindukusch. Wohnt der mild lächelnde Terror und brütet schmutzige Anschläge auf Towercities aus.

Soviel mediale Aufklärung ist zum Kotzen. Unser Betrachter bleibt aus Prinzip optimistisch. Im Vordergrund stehen sie ja geläutert bereit - zu Diensten, zur Dienstleistung - die lächelnden Ackerfrauen und -männer. 

Der Umworbene wird nicht darüber erschrecken, dass ihn lauter digitale Varianten ein- und desselben Gesichts anlächeln. Er ist glücklicherweise optimistisch. Er wird sich einreihen und investieren.

Nahe, fast neben seiner Immobilie, aber im Wald, wo er joggen geht, wird einmal ein Mann aus Kamerun vom Himmel stürzen. Seine teure Immobilie liegt unter einer Anflugschneise der Hauptstadt. Der schwarze Mann wird nie identifiziert werden. Er wird in den Unfall- und Sterbeakten der Gemeinde verschollen bleiben.

Die Zukunft des durch das multiple Lächeln Beworbenen wird Zinsen tragen.


                                       TOO  BIG  TO  CHANGE?




Ganzoben








E R  und die  C e l l i s t i n.  Sie schicken sich Gedankenmails, zwinkern sich über 8000 Meilen zu.  

E R  aus seiner Loft in Blankenese.  S I E  aus San Francisco, der letzten Station ihrer Konzert-Tournee durch die Staaten - sagen wir: aus ihrem Hilton VIP-Room.  E R  nach einem traumlosen Schlaf am Sonntagmorgen um halb zehn,  S I E  samstagnachts um halb zwölf, nach einem Ale und zwei Cognacs, die sie zum Ein­schlafen benötigt. Zur selben Zeit.

Sie kennen sich nicht. Doch, warum nicht? In ihrem Milieu ist von einer  Wahrscheinlichkeit zwischen 3 und 5 Prozent auszugehen, dass sie sich an einer Party begegnen. Zudem: Die Klangwelt ist ja eine seiner Passionen. Ich errechne, dass sein Platz im Abonnement der Philharmonie mindestens einmal in zwei bis drei Jahren auf einen ihrer Auftritte fällt. Ihm würde es leicht fallen, seine Chance zu realisieren, umso mehr, als  s i e  in Frankfurt lebt, obschon sie natürlich ebenso oft in der Welt her­umjettet wie er. Wenn ich ihre Gesichter betrachte, habe ich zwangsläufig den Eindruck, dass sie sich eigentlich kennen müss­ten. Beide sind etwa gleich alt. Beide haben es in ihrem Leben darauf angelegt, sich immer so zu fühlen, wie sie sein wollten. Und sie haben es etwa gleichzeitig geschafft  on   t o p  zu sein. Bei statistisch so hohen Treffchancen wäre ihrer vorbestimmten Zuneigung ja bloss noch die Krone aufzusetzen.
  
Die Inserate mit ihren Bildern im SPIEGEL vom 15.1.01 liegen nur die kleine Differenz von S.113 auf S.199 auseinander. Dazwischen bietet sich eine Menge attraktiven Lesestoffs an. Beispielsweise: über die heimlichen Ängste des starken Geschlechts und Tom Hanks in der Rolle Robinsons, über den Aufmarsch der Krustentiere an der US-Küste und die Blutspur der Drogen-Mafia in Deutschland. Da beide - neben Fachzeitschriften - den  SPIEGEL  lesen, teilen sie nebenbei auch dasselbe Niveau medialer Aktualität.

An behaglichem Glamour fehlt es an diesem Sonntagmorgen in Blankenese ebenso ­wenig wie jener Samstagnacht über den Lichtern von Frisco. Im Hintergrund des Dachzimmers seiner nagelneuen Villa - um nichts weniger han­delt es sich nämlich bei seiner Residenz und die Diele riecht nach frischer Fichte - steht und spiegelt sich auf den ge­bohnerten Bohlen ein Saxophon. Auch Bach lässt grüssen. Das Saxophon steht auf einem Ständer und die Sonne wirft ihre morgenfrischen Strahlen durch die blanken Rechtecke der VELUX-Fenster, welche “Lebensqualität ganz oben“ versprochen haben und nichts schuldig bleiben.

Die Musik ist eine nahe liegende Gemeinsamkeit. Doch hätte auch  e r  ihre Absicht zu erfüllen, eine meteorhafte Musikerkarriere hinzulegen, dann hätten die Werbeexperten das im Sonntagmorgen-glanz geheimnisvoll aufleuchtende Blasinstrument nicht als eine zwar bedeutsame, aber durchscheinige Andeutung im Hintergrund der Loft ins Bild gesetzt. Das Saxophon weckt wie die Fotografie an der leuchtenden Firstwand die Assoziation, dass Er sich als Multitalent trotz seiner zeitraubenden Karriere den Luxus des Individualisten leistet: Kunst. Vom Feinsten, comme il faut. Zum Ganzsein gehören Optionen. Symbole der Kreativität. Das ist man dem Lebensstil seiner Etage schuldig.

Die spleenige Tatsache, dass  e r  in seiner asketisch möblier­ten Loft in einem Flugchair der Business-Class sitzt, belegt noch einmal seine Originalität und seinen spielerischen Umgang mit dem Aufstieg. “Selfmade“ gestehen ihm die nächsten Kollegen nicht ganz neidlos zu. Während er schelmisch lächelnd in den azurblauen Himmel hinausträumt, liegt seine linke Hand auf der über Armlehne und Knie aufgeschlagenen Zeitung (vermutlich “Die Zeit“) genau an der Stelle, wo eine fette Schlagzeile 100% einer Toplei­stung zu versprechen scheint. Dass am Handgelenk eine Luxus-Uhr sitzt („Jaeger Le Coultre“ vermutlich), scheint so selbstverständlich wie seine Traumdenker-Pose, welche die lässig ans Kinn gelehnte Rechte und sein Erobererblick signalisieren. Business ist sein Job. Da hat er den Bogen raus, denn er entscheidet mit einer fast schlafwandlerischen Sicherheit. Er hat den Jagdinstinkt und die Akkuratesse im Zielen. Er trifft. “100%!“ hat der Chief-Manager dem Chairman der Holding attestiert, bevor sie ihn an der Spitze platzierten.

Die Top-Cellistin hat die Musik als Traumberuf zum Inhalt einer mit fast übermenschlicher Energie erkämpften, angesichts ihres Alters aber meteorhaften Karriere gemacht. Diese war  i h r  nicht in die Wiege gelegt, nie hat sie ihren Auftritt als Wun­derkind absolviert. Der Applaus in der Philharmonie anerkennt wie die Presse einstimmig die Energie, mit der sie den Bogen auf der illustren Karajan-Bühne führt. Immer topschwarz, in spanischer Couture, mit gerecktem Hals und niedergeschlagenen Augenlidern meistert sie den hymni­schen Aufschwung in Bruchs Adagio mit gehaltvoller Strenge. Die TV-Kameras sind scharf auf ihren decolletierten Hals gerichtet, auf die Grazie ihrer Hand, ihres Bogenschwungs.

Und jetzt haben die Bundesschatzmanager - diskrete Banker an der Spitze einer seriösen Institution (Ratingklasse AAA+) - die Klasse-Cellistin ins Visier genommen. Sie bieten sich an, ihr Spitzen-honorar über eine dynamische 7-Jahres-Treppe (Typ B) exklusiv mit 5% zu versilbern, was unter Insidern bei der tiefen Inflationsrate nicht als exorbitant, dafür aber als sicher gilt: 100% plus Zinsen!. Kultur ist in unserer freien Marktwirtschaft allemal ein förderungswerter Wert. Und als Wert ebenso sicher wie eine Staatsgarantie.

Wachstum ist systemimmanent, ergo planbar. Mit persönlichem Zuschnitt unter der sorgsamen Obhut der Private Banker geplant ist es zudem “be­sonders schnell“. Die VIP-Klientin „muss nichts dafür tun - das klingt nicht schlecht“. Das klingt. Sie hat die Winkel ihres ausge­sprochen grossen Mundes selbstgewiss nach oben gezogen. Die leise Falte über ihrer Nasenwurzel und ihre volle Unterlippe, gegensymmetrisch zur Stirnlinie des hochcoiffierten Haars nach unten gekrümmt, bezeugen ihren Willen. Der Schulterschnitt ihres leicht­maschigen Pullovers unterstreicht die Bewegung. Ihr Mund drückt aus, was “satisfied“ im Sinn der Werbedesigner bedeutet. Ihr Privatleben gehört ihr. Entschieden. Die Regelung ihres Kontos mit Bundesschatzdienst und Bank wird sie ihrem Manager überlassen. Die Bundesschuldenverwaltung verwaltet Lebensqualität. Ganz oben, kostenlos. Für alle, welche sich solchen Mehrwert leisten können.

E R  wird in der nächsten Shuttle-Kurve der Konjunktur garantiert  nicht weg vom Fenster sein. Dieser Ausblick repräsentiert seine Philosophie.  Die Akzente seiner Loft sind so dezent-asketisch gesetzt wie die Akzente ihres Encores. Man darf sich nicht verschwenden. Erfolg ist langfristig zu sichern, wie Vermögenserträge. So hat man das Leben. Man wird es auch zu zweit haben, falls das isolationsverglaste VELUX-Fenster der Loft sich für beide fügt. Ungeteilt. Bei  g e m e i n s a m e m  Ausblick hätte man weiterhin, versteht sich, getrennte Karrieren und Einkünfte.

Sein Blick schweift traumverwegen übers Alte Land. Auf dem Elb­insel-See hat sich eine Schar Möven in kreuzenden Spiralen nie­dergelassen. Die Flügel der Vögel blitzen in der Morgensonne. Das Saxophon blinkt warm. Golden. Der Flug nach Frankfurt ist auf Sonntag halb zehn gebucht. So etwa fügen sich Klischees, die vom Leben erzählen.