Der
Markt ist illuminiert, die Schlagzeilen übermitteln keine Erleuchtung. Design
erfindet sich neu, der Mensch nicht. Der Fussball bleibt rund wie die
eingespielten Millionen. Die Carbon-Blase wächst. Die Carbon-Aktien fallen,
während der Meeresspiegel steigt. Die Systeme reagieren.
Ich
war vier oder fünf Jahre alt, drückte meine Nase am winterlich beschlagenen
Schaufenster platt und bestaunte durch die Eisblumen das Rentier in seinem Glöckchengeschirr und den mit Geschenken
beladenen Schlitten im glitzernden Kunstschnee. Ich lachte mit grossen Augen
und zeigte mit dem Finger auf einen der sieben Weihnachtszwerge, die in roten
Kapuzenmäntelchen auf Holzskiern das lustige Fuhrgeleit stellten. Da war auf
einmal das Licht weg - Kurzschluss! Hinter der kaltgrauen Scheibe war die
beglückende Inszenierung erloschen. Während der Rationierung um 1944/45 - im
letzten Winter des Kriegs - war ein Kurzschluss nicht ungewöhnlich.
Weihnachten
2015 in den Londoner Selfridge-Stores oder den Magasins an der Zürcher
Bahnhofstrasse. Warmweisses Softtone-Licht ergiesst sich über die Auslagen. Es
funkelt in den Kugeln der überzuckerten Design-Christbäume und in den
Brillanten der Bijouterie. Es schimmert in der Parfümerie betörend durch
Flacons von Lancôme und Chanel. Und im Gourmet-Store liebkost es den hauchdünn
filetierten, über Schnipseln von Fasseichen geräucherten Baliklachs. Zur Zeit
des Weihnachtsverkaufs ist es täglich nach 17 Uhr Nacht. Sollte ein Kurzschluss
das Licht in allen Etagen auf einen Schlag auslöschen, dann würden im Bruchteil
einer Sekunde die Notstrom-Aggregate hochfahren. Das kaum wahrnehmbare kurze
Aufblitzen der Finsternis hätte keine Chance, im Bewusstsein der vier- bis
fünftausend Besucher jenen seelischen Kurzschluss auszulösen, der dem Schock
vorausläuft. Nicht auszudenken, was geschähe, falls unvermeidlich einbrechende
Dunkelheit die fatale Blitz-Gedankenkette aktivierte, welche in blinde Angst
umschlägt: Terror, ein Suizid-Anschlag? Aber nichts dergleichen geschieht,
unsere Notstrom-Aggregate arbeiten sicher.
Udo
Lindenbergs Konzert rollt mit berauschenden Licht- und Toneffekten über die
Bühne des gigantischen Stadions. Das Aufblitzen der Finsternis ist vorgesehen,
die Inszenierung der Katastrophe Programm. Wenn zum furiosen Abschluss des
Konzerts der grosse Zeppelin über dem Stadion abhebt und unseren Udo wie den
Sandmann des TV-Kinderprogramms in den Nachthimmel entführt und alle Zuschauer
verzückt zu ihm hochwinken, da explodiert das Himmelsgefährt wie die
„Hindenburg“ 1937 in einem Feuerball über New York. Schall und Theaterrauch,
alles Programm. Udo übersteht die Katastrophe seiner Entrückung durch ein
inszeniertes Wunder. Udo advenit. Seine Wiederkunft als geretteter Retter auf
den Brettern der Schaubühne wird von den Millionen in der Runde des Stadions
und der Bildschirm-Arena bejubelt. Udo, der Sänger des Lieds vom „Sonderzug
nach Pankow“ lässt sich heute als gesamtdeutsche Ikone feiern, während ungewiss
ist, ob Europa die Belastungsprobe unter dem Druck der Flüchtlingsströme aus
dem Süden besteht.
Udo
Lindenbergs „Panik-Konzerte“ in der Kölner Lanxess-Arena 2012 und in den
Grossstadien deutscher Städte in Folge sind die Superlative des
Musik-Kommerzes. Der Superstar spielt mit seinem „Panik-Orchester“ Millionen in
Serie ein. Vor seinen in Ekstase versetzten Adoranten stilisiert sich der Star
- in Anlehnung an den niedlichen Helden des populären Feierabend-Comics - zum
säkularen Konsumerlöser schlechthin und stimuliert das Geschäft. Die
Musikkultur ist heute rund um die Uhr digital kommerzialisiert. Der
Lindenberg-Rock dröhnt die Ohren von Millionen über die Lautsprecher-Stöpsel
ihrer Smartphones zu. Wie Udo halten sich „Tote Hosen“ und weltweit hunderte von
Bands in Konkurrenz dauernd in den Charts und auf dem Musikmarkt. Was für die
Musik gilt, gilt heute für die kommerzialisierte Kultur mit medien-spezifischen
Unterschieden ganz allgemein.
Wir
leben in einer Zeit totaler Vermarktung, meint der Philosoph Philipp Blom:
Ausserhalb der kommerzialisierten Welt schwinde der Freiraum schöpferischer
Authentizität, im kommerzialisierten Wohlstand stecke keine Utopie, seine
Erhaltung sei „kein gemeinsamer Traum“ mehr. In den demokratischen
Gesellschaften ist die Wirtschaft durch das Wohlstandsversprechen verpflichtet
Wachstum zu generieren, denn die Kredite, welche den Wohlstand garantieren,
wollen verzinst, die Schulden bezahlt sein. Als Teilhaber sind wir in den
Geldkreislauf eingespannt. „Das Heilsversprechen“, sagt der Ökonom Mathias
Binswanger in bewusster Anspielung auf die religiöse Begriffswelt, „ist ein
Märchen“ - eine Utopie, deren Erfüllung wir dauernd nachhetzen. Reichtum macht
nicht a se glücklich und er ist ausserdem national wir global ungerecht verteilt,
was Konflikte hervorruft. Reichtum ist exklusiv. Dasselbe kann man von der
Freiheit sagen, sofern sie auf Kosten anderer errungen wird.
Die
Zeitumstände fordern heraus, über Verteilung und Schuld nachzudenken. Als
Inspiration dazu diese kleine Agenda:
„Auserkoren“
steht auf der Titelseite der Weihnachtsausgabe des Hochglanz-Magazins „Z“ und
kleingedruckt darunter der Hinweis auf das Angebot: „Überraschende Geschenke
für Individualisten und Design-Liebhaber“. Zwischen den „schönen Seiten“ und einem
Mode-Inserat von Longchamp Paris ist eine ganzseitige, von Migros bezahlte
Werbung für Spenden an Caritas, Heks, Pro Juventute und Winterhilfe eingebaut:
„Helfen wir bedürftigen Kindern… Jedes zehnte Kind in der Schweiz leidet unter
Armut. Die Migros sammelt…und verdoppelt die Gesamtspendesumme um bis zu 1
Million Franken…Spenden Sie mit den Schoggi-Herzen in Ihrer MIGROS.“
Das
im Magazin eingeheftete Essai-Blatt „Zäsur“ publiziert ein „Manifest“ des
„international erfolgreichsten Schweizer Designers der Gegenwart“, Alfredo
Häberli“, unter dem Titel: „Persönlichkeit statt Mittelmass“. Der Text
karikiert den schlangenhaft „geschmeidigen“ Karriere-Typ, der dem Designer
immer wieder über den Weg läuft: „unaufdringlich, nichtssagend, angepasst,
mittelmässig“. Als ebenso persönlichkeitslos beklagt der Erfolgs-Designer den
aktuellen Zustand des Designs: „Es ist ‚okay‘, eckt nicht an, ist
pastellfarbig, aber farblos.“ „Z“ faltet die Starparade des angesagten Designs
als „Nicht von dieser Welt“ auf: In irisierende Farben schillert auf
Serpentino-Steinplatte der Parfum-Flacon „Les infusions d’oranger“ von Prada;
wie aus einem Korallenriff gebrochen, weder liegend noch stehend, west auf dem
„Schönstaub“-Strandtuch „Grid“ die Kunstharz-Vase „PCM Design“ von „Limited
Stock“ zusammen mit einem Seestern aus teurem Papier. Und alles und viel mehr
noch zu diskreten Preisen.
Udo
Lindenberg lädt Flüchtlinge zu seinem Konzert. „Der Panik-Rocker will nun
zeigen, zu welchem Lager er gehört: ‚Ein klares Bekenntnis ist jetzt wichtig:
Wir heißen Flüchtlinge, die Entsetzliches wie Krieg, Tod, Vergewaltigung erlebt
haben, willkommen - und wir kümmern uns auch‘, betonte er gegenüber der
'Bild'-Zeitung. Und wie ginge das besser als mit einem XXL-Konzert? Frei nach
dem Motto 'Refugees welcome' findet am 4. Oktober ein Open-Air in Berlin
statt.“(Vip.de) So las man noch im September. Nach Lindenbergs Idee sollten mit
ihm einige der größten Stars Deutschlands auftreten wie Grönemeyer, Maffay, die
Toten Hosen. Ein Gerücht ging erst um, das Konzert werde auf der Wiese vor dem
Reichstag hochgehen. Dann plante man, vor dem Tag der Deutschen Einheit die
dortige Bühne zu benützen. Das Berliner Konzert wurde „aus technischen Gründen“
abgesagt, eine kleine Ersatz-Gala für 200 Flüchtlinge löste in Bremen das
Versprechen ein. Die grosse Tournee 2016 sagt Udo selbst als „sein grösstes
Ding“ an - musikalisch und technisch! - doch es scheint, der Rockstar wolle
sein „Panik“-Image abstreifen. Ob seine Fans ihm das abnehmen werden, steht
aus. Aber sie werden bestimmt! Der Ticketverkauf online und unter der Hand
läuft auf Hochtouren.
Die
europäische Flüchtlings-Konferenz wehrte sich in Paris gegen die geforderte
Kontingentierung der Aufnahme-Zahlen. Europa will und wird es schaffen, die
Aufnahme Suchenden im Flüchtlings-Status gerecht auf seine Länder zu verteilen.
Europa darf weder an den Mitteln noch an seinen christlich-humanitären Idealen
scheitern, es wird seine Bewährungsprobe bestehen und sich endlich unter einer
gemeinsamen Verfassung zusammenschliessen. Man hält sich an das Prinzip
Hoffnung, bleibt aber realpolitisch. Die Pariser Konferenz musste dem
Widerstand gegen die Überfremdung und dem Wunsch zur Erhaltung von Wohlstand
und Ordnung Rechnung tragen. Man wird die Flüchtlinge nach Herkunft und
Anspruch registrieren. Die durch unsägliche Gewalt aus ihrer Heimat und ihren
in zu Schutt und Asche zerbombten Städten Vertriebenen, welche ungerufen in
endlosen Kolonnen unseren Autobahnen entlang ankommen, sind in d i e s e r
Welt „auserkoren“ in wohnlich einzurichtenden, beheizten, vorwiegend
ungebrauchten Immobilien unterzukommen wie die biblische Familie in Bethlehem.
„Auserkoren“, das diskret auf der Titelseite unseres schönen
Weihnachts-Magazins gedruckte Partizip ist
ein altertümliches Wort der deutschen Kirchenlied- und Amtssprache, ein
würdiges Wort, dessen Klang - von ferne wohl - an die Weihnachtsbotschaft
erinnert.
Zum
Schluss noch das Adventszeit-Ereignis aus der Zürcher Shopville. In der
Pendlerzeitung „20 Minuten“ liest man heute, den 9.Dezember:
„Wie
Leser-Reporter berichten, fiel am Mittwoch um 8 Uhr 15 der Strom im
Hauptbahnhof aus. «Die Rolltreppen stehen still, die Läden sind dunkel – auch
die grossen wie die Migros», sagte etwa R. Burkard: «Nur ein paar
Notstromlampen leuchten. Es ist ruhiger als sonst, die Leute sind nicht
aufgeregt, sondern weniger hektisch, entspannter.»
Seit
kurz nach 9 Uhr brennt im HB wieder Licht. Laut einer 20-Minuten-Reporterin
fahren auch die Züge ganz normal. Um den HB, etwa beim Central, standen die
Trams bis um etwa 9.50 Uhr still. Mittlerweile fahren sie aber wieder, heisst
es bei der VBZ. «Es braucht einfach noch seine Zeit, bis sich alles wieder
einpendelt», sagt Sprecherin Daniela Tobler.
Verkäufer
im Hauptbahnhof berichten, dass sie für einige Zeit gar im Laden eingeschlossen
waren, da die automatische Tür nicht mehr aufging. «Ich hatte Angst. Mir ging
in diesem Moment durch den Kopf, was sonst noch alles auf der Welt passiert»,
sagt eine Angestellte. Ebenfalls keinen Strom hatten die Geschäfte für rund 45 Minuten
um das Central, wie die Verkäufer zu 20 Minuten sagten.“
Ursache des Kurzschlusses, erfahren wir später,
ist der Kabelbrand in einer EWZ-Zentrale. Es geschah am Morgen, verzögerte den
Arbeitsanbruch, doch alles pendelte sich bei Tageslicht wieder ein. Ein
Kurzschluss ist Routine, er ereignet sich häufiger als wir ahnen, aber er
belegt, wie vieles zusammenhängt.
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